Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im November 2022

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

Zucker © Screenshot Musikvideo
© Screenshot Musikvideo

pogendroblem – »Alles was ich noch hab sind meine Kompetenzen«

pogendroblem © pogendroblem / Audiolith
pogendroblem © pogendroblem / Audiolith

Wer’s noch nicht weiß, weiß es spätestens jetzt: pogendroblem sind super. Spätestens seit der 2020er Doppel-EP – man kann auch Album sagen – »Ich – wir« klebt der Vierer aus Bergisch-Gladbach unverändert auf den Scheißhäusern des Kapitalismus, stets bereit, selbigen auch an Ort und Stelle zu ersaufen. Für das dritte Album, für das es auch den Umzug vom eher wilderen This Charming Man Records zum auch auf Krawall gebürsteten Audiolith Label gab, gibt es, sofern denn für eine Gruppe wie pogendroblem möglich, einen Wachstumsschub hin zu Inhalten für Erwachsene. Nun formuliert man nämlich aus Sicht der Arbeitnehmenden, schließlich geht’s auf »Alles was ich noch hab sind meine Kompetenzen« um (Selbst-)Ausbeutung, Entsolidarisierung, aber auch unternehmerisches Green- und Pinkwashing, den ganzen Zinnober. In Zeiten von #punkmetoo – beziehungsweise in Zeiten der Enthüllungen, weil Punk und Arschlöcher ist so alt wie Musik und Arschlöcher – gibt’s natürlich auch auf die Fresse für die eigenen Szene. Auch die Musik schlägt voll ein: 80er-induzierter Post-Punk mit richtig viel und richtig schöner Wut im Bauch. Top, top, top!

»Alles was ich noch hab sind meine Kompetenzen« von pogendroblem erscheint am 18.11.2022 via Audiolith. Keine Österreich-Termine. Hier kaufen.

Zucker – »Zucker«

Zucker © Screenshot Musikvideo
Zucker © Screenshot Musikvideo

Wenn gut Ding Weile braucht, braucht super Ding gleich eine ganze Weile. Beispiel A: Obwohl es die Gruppe Zucker – mediengerechtes Prädikat: Riot-Pop – schon seit 2012 gibt, erscheint erst jetzt das Debütalbum des Duos. Der Aufschub ist leicht erklärt: Nach der typischen Hamburger Gründungsgeschichte – Golden Pudel Club, schneller Hype, totaler Abriss, Bühneteilen mit riesigen Namen – reißt das Ganze irgendwann ab, Trennung 2016, Solo- und Kunstprojekte, Berlin. Letztes Jahr dann das große Vermissen, Reunion, Liebe ist alles. Die Songs auf dem selbstbetitelten Debüt – selbstbetitelt heißt immer: der Band mit Betonung auf der solchen ganz besonders wichtig – gibt es der Historie entsprechend schon eine ganze Weile, die erste Single etwa »Fick dich hart« sorgt schon vor zehn Jahren für Aufsehen, man erzählte sich danach Geschichten aus dem Wiener Fluc, da wurden offenbar ganze Köpfe verdreht und nicht mehr gerade gerückt. Auch die anderen zwölf Stücke sind keine Feinde des Ablieferns. Starkes, spätes Debüt! 

»Zucker« von Zucker erscheint am 11.11.2022 via Krokant. Noch keine Termine. Kaufen z.B. hier.

Fjørt – »nichts«

Fjørt © Sophia Rossberg
Fjørt © Sophia Rossberg

Wer versucht, deutschsprachigen Post-Hardcore, gerne mit Betonung auf zweiterem, zu buchstabieren, kommt am eigentlich skandinavischen »ø« nicht vorbei, schließlich stehen die Aachener Fjørt wie ein Monolith in der ansonsten eher kargen Landschaft. Spätestens seit dem bockstarken Vorgänger »Couleur«, das sich sogar in den deutschen Album-Charts platzieren konnte, gibt es hieran keinen Zweifel. Auch in Sachen Vermarktung und Live-Auftritt mangelt es dem Trio nicht an Kreativität, so wurde zuletzt etwa die gesamte Diskografie zuletzt in Köln und Hamburg an jeweils einem Tag, in vier Clubs, ein Club pro Album, durchgeprügelt. Klingt eigentlich nach Abschied. Zum Abschluss des jeweils letzten Gigs dann die Überraschung: Gänzlich neue Songs, nach fünf Jahren Pause, Vorboten auf eben »Nichts«. Und die haben es in sich: Brachial, atmosphärisch dicht, wütend, schonungslos, kryptisch, gar magisch. Das Suffix »Hardcore« reicht der Gruppe nicht mehr aus, auch Post-Rock, Post-Everything und, besser zum Albumtitel passend, Post-Nothing sind geeignete Zuschreibung für das, was Fjørt 2022 sind. Egal, wie man es nennt, es ist klasse.

»nichts« von Fjørt erscheint am 11.11.2022 via Grand Hotel van Cleef. Termin: Arena Wien, 30.1.2023. Hier kaufen.

Die Sauna – »In die Nacht hinein«

Die Sauna © Anil Coskun
Die Sauna © Anil Coskun

»Manchmal möchte ich nur nach Italien, wo alles kann, aber überhaupt nichts muss.« Bayern und Italien, das ist ja fast schon so wie, nun ja, Österreich und Italien. Nach dem Welterfolg von Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys schickt sich mit Die Sauna die nächste Band an, aus Bavaria mit Italo-Feeling Herzen zu erobern. Wobei, stopp, Kommando retour! Der Vergleich ist natürlich naheliegend, aber hinkend, schließlich trennen sich da musikalisch aber Welten: Was die einen mit Schlager machen, versucht Die Sauna mit mitreißendem verschleppten Indie-Dream-Pop, der bereits auf dem 2019er Debüt »So schön wie jetzt war es noch nie« – deutsche Nostradamus – zu einigem Entzücken angeregt hatte. Außerdem, und da darf man jetzt Die Sauna keinen Strick drehen, ist die Gruppe nicht gerade monothematisch italophil, vielmehr geht es auf »In die Nacht hinein« auch im allgemeinen Sinne um Freiheiten und Sehnsüchte, um Fernweh und Hierbleiben. Ein Gefühlschaos, das sich auch an der Aufnahmesituation zeigt: Produzenten-Legende Olaf Opal hat mit dem Sechser nämlich im Keller der Grundschule ihres Heimatorts Schliersee aufgenommen. Was soll man da noch sagen? Außer: Schon super, das.

»In die Nacht hinein« von Die Sauna erscheint am 18.11.2022 via Buback. Österreich-Termin: 9.2.2023 Rhiz, Wien. Hier kaufen.

Holz – »Holz«

Holz © Holz/ Tonzonen Records
Holz © Holz/ Tonzonen Records

Künftigen Muttersprachenpopologen – das Ansuchen um einen Lehrstuhl an allen Universitäten ist raus, Daumen drücken! – sollten jetzt das Internet ausdrucken und ein Post-it an Ort und Stelle kleben: Zum ersten Mal hat es nämlich eine Gruppe in die Auswahl geschafft, die – Trommelwirbel! – Stoner Rock macht. Ist nämlich gar nicht so häufig, die Kombination mit deutschsprachigen Texten. Die Gruppe Holz aus Kassel, dem deutschen Palm Desert, existiert schon seit 2011, zwischendurch mal aufgelöst, 2015 gibt’s das bislang letzte Album namens »Holz 2«. Die neue, selbstbetitelten Platte, die beim tollen Krefelder Label Tonzonen Records erscheint, bietet dem Namen entsprechend hemdsärmeligen und äußerst knisternden, bluesigen und gleichsam harten Gitarrenrock mit bis zum Boden gestimmten Klampfen und nach vorne peitschender Rhythmus-Abteilung. Kryptische Alltagsbeobachtungen über Fortschritt und Stillstand bieten das textliche Fundament, das stets gegen die klangliche Wucht ankämpft. Sehr cool!

»Holz« von Holz erscheint am 18.11.2022 via Tonzonen Records. Keine Live-Termine in Österreich. Hier kaufen.

Außerdem erwähnenswert:

White Sparrows – »Zwischen Liebe, Hass und Suff«

(VÖ: 25. November 2022)

Allen Freund*innen der guten alten Punk-Musik muss das international bestens vernetzte Linzer Label SBÄM Records ein Begriff sein, auch der neueste Release ist ein veritabler Hit: Die Südhessen White Sparrows zeigen nämlich auf ihrem dritten Album starken und sehr hymnischen Deutschpunk, der sich gegen alles Schlechte in der Welt positioniert. Bestes Beispiel: Der Anti-Kriegssong »Du und dein Gewehr«, bei dem auch Marathonmann am Start sind. Hier kaufen.

Lobby Boy – »Autobahngold«

(VÖ: 4. November 2022)

Normalerweise sind wir immer recht schnell mit Schubladen am Start, bei der recht jungen Formation Lobby Boy müssen wir uns mit – sagen wir mal – »Weirdo Rock« helfen. Der Einfallsreichtum scheint überbordend zu sein, hier ein Lick, da ein Break, Pop ja, aber mit Edge eben. Die Kreativität des Berlin-Dortmund-Duos zeigt sich auch in den vorab veröffentlichten Videos, welche die Tür in die Klang- und Ideenwelt von Lobby Boy weit aufstoßen. Hallo! (Hier kaufen.)

Alte Kinder – »Gleich«

(VÖ: 27. November 2022)

»Alte Kinder is a Solar Pop Band Trio«, steht da auf Bandcamp, da werden natürlich die Ohren gleich gespitzt. Obwohl bereits im April veröffentlicht, erscheint das Debütalbum der Gruppe nun tatsächlich erstmals digital (hier). »Gleich« lässt dem solaren Anspruch auch Taten folgen, trotz teilweise schwieriger Themen kommt der Indie-Pop-Sound äußerst sonnig daher – und lässt sich wunderbar durchhören.

Die bisherigen Veröffentlichungen von Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.

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