PG-13 und Hollywood: Sex, den man nicht sieht

Damit ein Film das PG-13 Rating erhalten kann, darf es nicht zu heftig zur Sache gehen. Doch der Sex ist da – und wird von Hollywood auf billigste Weise verschleiert.

PG-13 Label
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Gestöhne, Liebesspiel und Orgasmus-Gesichter, am Ende dann die doppeldeutige Aufforderung »Let’s come together« – mit einem rasanten Zusammenschnitt verschiedenster Sexszenen bewarb die Europäische Filmkommission vor knapp zehn Jahren die von ihr geförderte Filmkunst. Unter anderem mit bewegten Bildern aus Bernardo Bertoluccis »The Dreamers« oder Jean-Pierre Jeunets »Amélie«. Der Clip ist natürlich auch als Diss in Richtung Hollywood zu verstehen.

Denn sie ist als prüde und scheinheilig verschrien, die US-amerikanische Filmindustrie. So mute sie ihren jugendlichen Konsumenten zwar Gewaltexzesse am laufenden Band zu, dämonisiere Sex aber als schädliches Teufelswerk und verbanne ihn aus den Lichtspielhäusern. Haltlos sind diese Anschuldigungen nicht, wie ein Besuch im Kino bestätigt – sofern ein PG-13- und somit jugendfreier Streifen über die Leinwand flimmert: Enthauptete, ausgeweidete und von Pfeilen durchlöcherte Orks (»Der Herr der Ringe«) und globale Massenvernichtung (in jedem zweiten Superheldenfilm) rufen die Sittenwächter nicht zwingend auf den Plan. Ein Zumpferl oder ein Frauenn­­ippel, vielleicht gerade mal ein Sekündchen im Bild, sorgen hingegen für helle Aufregung. (Der Eklat rund um Claire Danes‘ Brustwarzen-Blitzer in »Romeo + Juliet« wurde sogar von den »Simpsons« aufgegriffen: »I thought that nipple would haunt me forever!«). Verantwortlich dafür zeichnet ein undurchsichtiges, im Verborgenen operierendes Zensurorgan (die Motion Picture Association of America, kurz MPAA). Pädagogische Expertise stellt kein Kriterium für die Aufnahme in diesen freimaurerartigen Bund dar, der mit der Vergabe von PG-13- und R-Ratings über Aufstieg und Fall einer Produktion entscheiden darf.

Bekommt ein Film das R (restricted) aufgedrückt, werden Besucher unter 17 Jahren nur in Begleitung eines Erwachsenen ins Kino gelassen. Bei PG-13 (parental guidance) handelt es sich hingegen lediglich um eine Empfehlung an die Eltern, ihre Kinder in die Vorstellung zu begleiten. Praktisch gesehen kommt ein PG-13-Rating also einer Altersfreigabe gleich und verspricht damit ein größeres Publikum. Finanziell zahlt es sich also für gewöhnlich aus, auf expliziten Content zu verzichten. Mainstream Hollywood deshalb als sexfreie Moral-Bastion anzuprangern wäre allerdings falsch. Der Sex ist ja da, man sieht ihn nur nicht. Allein dem ersten Mal sind beispielsweise ganze Filmgenres – wie der Slasher und die Teeniekomödie – gewidmet. Verwerflich war aber bislang vor allem die Einfallslosigkeit, mit der die körperliche Liebe auf PG-13 getrimmt wird – im bewegten Bild wie auch verbal.

Schwanz erlaubt 

Denn auch bei den Worten ist Enthaltsamkeit Trumpf. Ein »fuck«, beziehungsweise ein Derivat des Worts (fucking, fuckable, clusterfuck), erlaubt die MPAA gnädigerweise pro Film, wird häufiger geflucht, war‘s das aber mit der Jugendfreigabe. Die Message eines four-letter-words kann aber auch ohne den Gebrauch des selbigen ans Publikum übermittelt werden. Die Norman-Mailer-Methode (»fug« statt »fuck«) ging seinerzeit in die Literaturgeschichte ein, eignet sich aufgrund der zum Verwechseln verführenden Homophonie allerdings nicht zum Umgehen der Filmzensur. Der neueste Trick aus der Traumfabrik ist ein anderer: Das böse Wort wird kurzerhand in eine andere Sprache übersetzt. Auf Deutsch/Yiddish und Spanisch wird besonders gerne ausgewichen. »Schwanz« (mit langgezogenem »aaa« wie  2011 von Ryan Gosling in »Crazy. Stupid. Love.« gehört) steht derzeit für das männliche Geschlechtsorgan hoch im Kurs.

Ersatzhandlungen

Das visuelle Substi sprüht im jungendfreien Kino auch nicht gerade vor Kreativität. Vor der eigentlichen Action muss man erst mal die vordergründig mit dem Geschlechtsakt assoziierten Körperteile verstecken. Der absolute Klassiker: Das Verbergen der weiblichen Brust hinter brustähnlichen Gegenständen. Melonen und Kokosnüsse haben sich im Komödienfach über die Jahrzehnte bewährt und werden auch heute noch teils völlig ironiefrei eingesetzt. Bei den Jungs läuft es ein wenig anders ab. Statt sich Bananen und Gürkchen vors Gemächt zu halten, müssen die Herren darauf vertrauen, dass die (meist weit aufgerissenen) Augen ihres (meist weiblichen) Gegenübers dem Publikum die Zurschaustellung der primären Geschlechtsorgane signalisiert.

Weit verbreitet ist in dieser Hinsicht der Hosen-zum-Boden-Move. Die Kamera ist in Teppichnähe platziert und fängt neben der abgelegten  Garderobe meist die Waden des frisch Entkleideten sowie den Gesichtsausdruck jener Person ein, an die sich die Nacktheit richtet. Auch an der Verschleierung des Geschlechtsakts selbst hat sich in den letzten Jahrzehnten wenig geändert. Annäherungsversuche enden im PG-13 prinzipiell mit einer Art Abdeckplane (etwa ein Leintuch, das übergeworfen, ein Vorhang, der zugezogen wird) oder dem klassischen Kameraschwenk. Während sich zwei Körper auf dem Eisbärenfell vor dem Kamin ineinander verkeilen, zeigt uns der Regisseur lieber die lodernden Flammen, um uns das Feuer der Leidenschaft deutlich vor Augen zu führen. Bleibt der Fokus doch einmal auf dem vermeintlich unzüchtigen Treiben, müssen wir uns gar mit schlimmeren Bildmetaphern herumschlagen. Der in den Tunnel einfahrende Zug, die abhebende Rakete usw.  (eine schöne Übersicht liefert das Intro der TV-Serie »Masters of Sex«). Zugegeben, sie halten im 21. Jahrhundert nur noch als beabsichtigte Lachnummern her, das quietschende Bettgestell – nicht weniger abgestanden – wird aber vollen Ernstes noch verwendet.

Pin-ups

Der neueste Trend ist ebenfalls retro: Die Pin-up-ifizierung ist im Vormarsch, insbesondere im Blockbuster-Kino. Das Sex-Objekt ersetzt den Sex und fungiert als Anheizer der vorwiegend männlichen Fantasien. Mikaela Banes (Megan Fox), die sich in Jeans-Shorts auf einem Motorrad rekelt (»Transformers: Revenge of the Fallen«), Harley Quinn (Margot Robbie) beim Anlegen eines Mini-Shirts vor versammelter MannSchaft (»Suicide Squad«), Black Widow (Scarlett Johansson), deren in schwarzes Latex gehüllter Hintern via 3D-Optik von der Leinwand hüpft (»The Avengers«). Bei den männlichen Pin-ups hat sich hingegen der Standard-Sixpack etabliert, der von »Ant-Man« bis »Twilight« die Bäuche der Protagonisten ziert.

Prüde und scheinheilig? Das entscheide jede Zuseherin und jeder Zuseher selbst. In jedem Fall verkommen Hollywoods verschleierte, entschärfte, sittenwächtertaugliche Sex-Szenen immer mehr zum langweiligen Einheitsbrei. Bleibt zu hoffen, dass das »Let’s come together«-Prinzip dem Kino zumindest anderorts erhalten bleibt.

 

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