Glänzende Zeiten

Die Abschaffung der schlechten Eigenschaften
Adam Soboczynski begibt sich auf die Spurensuche der Gegenwart. Dabei schafft der Kulturkundler eine elegante Anthropologie gegenwärtiger Sitten und Verhaltensweisen.

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»Glänzende Zeiten«, das neue Buch von Adam Soboczynski (»Polski Tango«, »Die schonende Abwehr verliebter Frauen«) handelt von den, so Soboczynski im Buch, »furchtbaren« Veränderungen unserer Gegenwart – und es ist gleichzeitig eine Rückschau auf eine Ära, die noch nicht so glänzend, hell und antibakteriell war. Ein Buch über den Verlust zweifelhafter zivilisatorischer Errungenschaften: Der Feuilleton-Redakteur von /Die Zeit/ schreibt über die Abschaffung der Griesgrämigkeit, das Ende der rauchigen Gaststätten, das Verschwinden der gedankenlosen Besäufnisse mit Freunden. Alles Dinge, die mittlerweile als lästig bis gefährlich für die lieben Mitmenschen gelten, als unproduktiv und unverantwortlich, gar als Risikofaktor für die Sozialversicherung. Doch nicht schweren Herzens, sondern mit einer der ihm eigenen feinen Ironie behandelt er diese Themen.

»Fast ein Roman« führt sein Buch im Untertitel. Irreführend ist das. Denn aus den 29 kurzen Szenen, mit gewichtigen Begriffen wie »Freundlichkeit«, »Disziplin«, »Glätte« oder »Flanieren« betitelt, erwächst keine Romanhandlung, selbst der Begriff Erzählung scheint das Genre nicht zu treffen. Eher schon bietet der Autor einen Reigen an Lehrstücken, die zusammengenommen so etwas wie ein Panorama der heutigen Sitten und Verhaltensweisen ergeben. Soboczynski ist ein Feuilleton-Anthropologe, er schreibt eine Kulturkunde der Gegenwart. Im Nachwort dankt der Autor noch jenen Autoren, deren Werke ihn beeinflusst haben. Nicht weiter verwunderlich, dass sich darunter Namen wie Michel Foucault oder Theodor W. Adorno finden. Nicht, dass Soboczynskis Stil akademische Komplexität oder Gedankenschwere anhaften würde. Doch die Problematiken, die er anspricht, haben auch die großen Gesellschaftskritiker schon bewegt: Was ist der Preis des Fortschritts? Was, wenn sich Menschen aus freiem Willen Kontrollmechanismen unterwerfen? Hinter Soboczynskis witzigen Alltagsszenen türmen sich die großen Fragen der Gegenwart.

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