We’re at Home, Baby! – Stimmen zur Bedeutung von FM4

Mehr denn je scheint die Zukunft von FM4 ungewiss. Es gibt einen neuen ORF-Direktor, eine neue Radiodirektorin – und auch die Position an der Spitze des Senders ist gerade neu ausgeschrieben worden. Man wolle sich FM4 »sehr genau anschauen«, heißt es. Als Jugendsender brauche FM4 einen jüngeren Kurs, so eine gern zitierte Einschätzung. Dabei ist ungewiss, ob sich ein jüngeres Publikum mit linearem Radio überhaupt noch erreichen lässt. Fest steht hingegen, dass FM4 als Homebase der österreichischen Popkultur – aber etwa auch als Kreativlabor für journalistischen Nachwuchs – von immenser Bedeutung ist und dass daher über seine Zukunft mit besonderem Bedacht entschieden werden sollte. Eine vielstimmige Hommage, die uns in dieser Einschätzung bestätigt.

Doris Mitterbacher © Claudia Rohrauer

Doris Mitterbacher aka Mieze Medusa (Rapperin, Spoken-Word-Performerin, Autorin)

In Österreich wird Popkultur oft mit Jugendkultur gleichgesetzt. Es ist wichtig, popkulturell erwachsen werden zu können. Am Beispiel von Hip-Hop: Rap findet nicht nur im Jugendzentrum statt, Rap ist erwachsen geworden und wenn Rap das darf, dann kann Rap den Pulitzerpreis bekommen – yes, Kendrick Lamar! FM4 steht dafür, dass das auch im deutschsprachigen Raum möglich werden kann, und ist nebenbei eine funktionierende Exportschiene für österreichische Musik. Weil, nur weil meine Heimat ein kleines Land ist, muss es ja nicht gleich provinziell sein. Ich wünsche mir, dass das bleibt.

Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber © Natascha Unkart

Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber (Festivalleitung Diagonale)

Effemvier, mit Ö1 das beste Vorbild für den ORF.

Als Jugendliche des aufkeimenden Digitalzeitalters (Tamagotchi, Pager und Myspace – oder übersetzt auf die Provinz aus der wir kommen: Szene1, Uboot und Klaxmax) bedeutete FM4 stets die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit Neuem: mit Trends, Sub- und Jugendkulturen, mit Stilrichtungen und natürlich mit Musik, Musik, Musik. Für die eigene Sozialisierung können der Sender und die mit ihm groß gewordenen Macher*innen gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das FM4-Logo auf einem Konzertflyer in der Provinz; so viel Marken-Street-Credibility schafft heutzutage keine noch so zeitgeistige Agentur.

Seit unseren Teenagertagen wurde das Medienangebot breiter, FM4 blieb aber alles andere als stehen. Es gibt wohl wenige Radiosender, die den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag mit mehr Leichtigkeit verheimlichen und zugleich gewissenhafter erfüllen. Das liegt wohl auch daran, dass es bei FM4 nie nur um das Entdecken und Zeigen von Neuem ging, sondern darum, Kontexte herzustellen, Phänomene historisch einzuordnen, Behauptungen gegen den Strich zu bürsten, den Versuch anzustellen, komplexe Zusammenhänge verständlich zu fassen.

So ist FM4 im deutschsprachigen Raum einer der wenigen Sender mit erkennbarer Haltung (an der man sich auch reiben kann), mit 24h Lebensrealität durch Mehrsprachigkeit, mit Neugierde und Raum für Nischen – ohne den Mainstream außer Acht zu lassen. FM4, das war Besuch in fremden Jugendzimmern und Mut zum Grenzgang (»Salon Helga«, »Projekt X« etc.). FM4, das ist ein selbstverständliches Nebeneinander von Rihanna, Bilderbuch, Zinn und Gil Scott-Heron, das ist von deutschen Freundinnen im Auto nach dem Titel der CD gefragt werden und erstaunte Blicke ernten, wenn man erklärt, dass hier gerade »House of Pain« auf einem regulären Radiosender läuft. FM4, das ist ärgern über belanglose Musik, um im nächsten Moment, in der nächsten Sendung (ja, es gibt hier noch Unterscheide zwischen den Programmslots) von Neuentdeckungen überrascht zu werden.

Nicht zuletzt ist FM4 ein Bollwerk des Wissens und der zivilgesellschaftlichen Debatte, eine Brutstätte der Euphorie, manchmal ein Labor für Experimentelles (wie toll war’s im FM4-Chat als Provinzler echte Großstädter kennenzulernen, wie toll ist’s, wenn FM4 junges Kino aus Österreich im Livestream präsentiert) und ein Hort der Dissidenz, auf den der ORF viel stolzer sein müsste. Man muss FM4 nicht lieben, um diese Bedeutung ernst zu nehmen. Wer FM4 aber das Postulat der bemühten und aufgesetzten Jugendlichkeit aufschwatzen will, hatte wahrscheinlich selbst keine Jugend. Dasselbe gilt für den Vorwurf, dem Sender sei die Jugend längst abhandengekommen.

FM4 war immer mehr als »Jugendsender«, ist nicht nur Programmangebot, sondern auch Plattform: für eine vor Jahren noch undenkbare Renaissance österreichischer Popmusik, für die es Heimat und Geburtsort zugleich ist. Dasselbe gilt für den heimischen Film, insbesondere den jungen österreichischen Film, der auf FM4 Thema ist, sein darf und im Selbstverständnis des Senders auch sein muss. Spitz formuliert müsste der ORF mehr FM4 wagen – nicht umgekehrt. Anspruch, Haltung, Nische und Mainstream, Politik und Leichtigkeit. Das alles ist kein Widerspruch und keine Frage von Jugend. Und wenn doch, gilt zumindest einmal die Parole »Für immer jung«.

Patrick Pulsinger © Lukas Gansterer

Patrick Pulsinger (Produzent, DJ, Labelbetreiber)

Ich habe FM4 nie als Jugendsender angesehen. Als ich 1996 mit 26 Jahren als freiberuflicher Moderator bei »La Boum de Luxe« anfing, wollte ich musikalische Strömungen abseits der Hochkultur und des Mainstreams durch die Stimmen ihrer Protagonist*innen hörbar und greifbar machen. In den mehr als 25 Jahren durfte ich mit Hunderten Persönlichkeiten aus aller Welt live on air über ihre Visionen, ihre Liebe zur Musik und das persönliche Umfeld, in dem sie diese Leidenschaft zum Lebensinhalt gemacht haben, reden. Vom internationalen Techno-Superstar, Independent-Vinyl-Labelbetreiber bis hin zur Veranstalterin eines kleinen Musikfestivals im Nirgendwo haben wir allen den selben roten Teppich ausgerollt und uns für ihre Geschichte interessiert.

Ich bin mir sicher, dass sich auch heute noch eine heterogene Zuhörerschaft aus den unterschiedlichsten Lebensumständen und Altersgruppen von diesen Erzählungen aus erster Hand inspirieren lässt. FM4, und hier vor allen seine Spezialsendungen, haben einer ganzen Generation die Ohren geöffnet und Licht auf Kulturformen geworfen, die sonst eher ein Schattendasein in den Massenmedien führen. Ohne den persönlichen Einsatz der Redakteur*innen wäre eine Erfolgsgeschichte der österreichischen Popmusik, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben, wohl kaum möglich gewesen. In diesem Sinne ist FM4 vor allem ein Kultursender für neugieriges Publikum.

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