I’m so lonesome I could cry – Bilder aus dem »verlassenen« Waldviertel

Es ist einsam und leer, es stimmt melancholisch und nachdenklich. Ein Bildband gibt Einblicke in die verlassene Heimat Waldviertel.

© Franz Krestan

Die Themen Ruin Porn und Lost Places erfreuen sich schon eine ganze Weile ungebrochener Beliebtheit im Netz. Seit einigen Jahren fasst der Trend in Österreich auch in der analogen Welt Fuß: Verschiedene heimische Verlage huldigen dem Phänomen und haben mittlerweile gar nicht so wenige Bildbände über Verschwundenes aller Art in verschiedenen Regionen Österreichs veröffentlicht. Die Buchhandlung eures Vertrauens hilft euch diesbezüglich mit Vergnügen weiter.

Einer dieser Bildbände ist »Verlassene Heimat. Leere Häuser voller Geschichten – Bilder aus dem Waldviertel« des Drosendorfer Altbürgermeisters, Autors und Fotografen Franz Krestan. Das schwere Coffee-Table Book besticht mit ausschließlich großformatigen, farblich und lichtmäßig perfekten Aufnahmen des Verfalls. Und davon gibt es in den Waldviertler Kleinstädten und Dörfern leider mehr als genug: Desolate Häuser und Bauernhöfe, ehemals prächtige und nun bröckelnde Fassaden, vermodernde Tore und Türen, aufgegebene Geschäfte, Betriebe sowie zugesperrte Wirtshäuser bieten traurige Anblicke.

Franz Krestan »Verlassene Heimat. Leere Häuser voller Geschichten – Bilder aus dem Waldviertel«

Wahrlich beeindruckend sind die zahlreichen Innenaufnahmen, die eine Stimmung vermitteln, die von außen nicht wahrnehmbar gewesen wäre. Manche Szenen wirken, als ob die BewohnerInnen nur mal gerade aus dem Bild gegangen wären. Blicke in noch immer gefüllte Kredenzen, auf alte Möbel und noch bezogene Betten, Öfen, Lampen, kitschige Heiligenbilder und Kruzifixe, Fotos der Verwandtschaft, vergilbte Tapeten, farbige Wandanstriche, sanitäre Anlagen und andere Reste des Alltagslebens erzeugen Gänsehaut.

Vintage-Chic in einer strukturschwachen Region

Was dem Urban und Rural Explorer aus bloßer Lust am Schauen gefällt (Diese Möbel! Die Emailschilder!), hat natürlich auch verschiedene ernsthafte Dimensionen. Zunächst mal: Wer hat hier gewohnt? Was haben die Menschen empfunden, gefühlt, gefeiert oder betrauert, was gearbeitet? Ist dieser Voyeurismus legitim? Schnell rückt zudem die eigene Vergänglichkeit ins Bewusstsein: Sieht so unser aller Zukunft aus? Was bleibt denn von (m)einem Leben einmal übrig?

Neben der menschlichen Komponente stellt sich die Frage nach der Beschaffenheit der gezeigten Gegend. Warum ist es hier so leer? Wohin ist das Leben verschwunden? Zwar ist das Verschwinden von Bausubstanz und Inhalten kein spezifisch Waldviertler Phänomen. Selbst in der Wiener Innenstadt gibt es genug Motive, mit denen man einen Bildband über Verschwindendes füllen könnte. Aber anders als in intakten Regionen Österreichs, in denen Leerstände von kurzer Dauer sind, ist die Abwanderung vor allem in den nördlichen Teilen des Waldviertels eine bittere Tatsache. Hier wird so schnell nichts Neues entstehen.

Abgerundet wird der großartige Bildband von Texten verschiedener AutorInnen, die sich den Themen, die hinter den Bildern stehen, widmen. Ein Glossar erläutert Begrifflichkeiten (Schwingerl, Stageleisen oder Lavoir), deren Fortbestand ebenfalls gefährdet scheint.

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