Viennale-Tagebuch 2019 – Teil 2

Die nächsten Tage der Viennale 2019 boten dem Publikum unter anderem Filme über eine Frau, die alles verliert, und Johanna Dohnal, die noch immer inspiriert, über einen Mann, der Tiergeräusche aufnimmt, und ein Kind, das verschwindet.

© Barbara Fohringer

Montag, 28.10.2019

»Wet Season« © Viennale

Mit »Wet Season« von Anthony Chen ließ es sich gleich gut in die Festivalwoche starten. Der Film erzählt von der Lehrerin Ling (Yeo Yann Yann), deren Leben besser verlaufen könnte: Die Ehe mit ihrem Mann ist am Ende, ihren Schwiegervater pflegt sie quasi alleine, die SchülerInnen tanzen ihr ebenso auf der Nase herum – bis auf den zuerst wortkargen Wei Lun (Koh Jia Ler), der sich bald mehr als nur Mandarin-Nachhilfe erhofft. Chens Erzählstil mutet anfangs langsam an, gegen Ende steigert sich das Chaos der Figuren aber nach und nach, während die Hurrikan-Saison, auf die der Name des Films bereits anspielt, den Hintergrund für all das Drama liefert.

Ganz anderes Terrain, nicht nur geografisch, behandelt »Tommaso« (Regie: Abel Ferrara), geht es doch hier um den aus den USA stammenden und mittlerweile in Rom lebenden Künstler Tommaso (Willem Dafoe), der sowohl seine Kreativität und seinen Status als Anonymer Alkoholiker, als auch den Ehealltag mit seiner deutlich jüngeren Frau Nikki (gespielt von Abel Ferraras Ehefrau Cristina Chiriac) und der gemeinsamer Tochter (Anna Ferrara) schupfen muss. Der Cast in »Tommaso« überzeugt, Rom als Stadt gefällt ebenfalls, dennoch bleibt nach dem Film der Gedanke, dass man die eigentliche Story des Künstlers mit (vergangenen) Suchtproblemen – und überhaupt Männer mit jungen Frauen – schon öfter als genug gesehen/gehört/gelesen hat.

»Ema« © Viennale

»Ema« von Pablo Larraín führt das Publikum in die Welt der beiden KünstlerInnen Ema (Maria Di Girolamo) und Gastón (Gael García Bernal). Er Choreograph, sie Tänzerin, die beiden erst kürzlich noch Adoptiveltern eines fünfjährigen Buben. Dieser befindet sich nun nach einem Unfall wieder im Waisenhaus, zurückgebracht haben Ema und Gastón den Buben, bereuen tun sie dies aber, immerhin. Ema will den Jungen wieder zurück und schreckt vor keinen Methoden zurück. »Ema« ist unterlegt von Musik und Tanz (Reggaeton um genau zu sein), ist Euphorie und Sex und Feuer. Vor allem letzteres. Die psychischen Probleme und die mehr als unkonventionellen (und nicht nachahmenswerten) Wege der beiden Hauptfiguren, um die Familie wieder zu vereinen, werden nach und nach offenbart.

Dienstag, 29.10.2019

Wahrlich charmant machte »Moi dumki tikhi« von Antonio Lukich am Dienstag mitunter den Anfang. Der Film, der teilweise auf dem Leben eines guten Freundes des Regisseurs beruht, erzählt von Vadym (Laiendarsteller Andriy Lidagovskiy, dem man die fehlende Schauspielexpertise nicht anmerkt). Vadym, ein mehr als zwei Meter großer Tonmeister, der davon träumt, »richtiger« Musiker zu sein. Bis dahin muss die Miete natürlich bezahlt werden, als er demnach den Auftrag, ukrainische Tierlaute für ein kanadisches Computerspiel aufzunehmen, erhält, überlegt er nicht lange und macht sich auf den Weg – mit seiner Mutter. »Moi Dumki Tikhi« ist lustig und berührend zugleich, erzählt über eine Mutter-Sohn-Beziehung und das immer funktionierende Thema Erwachsenwerden. Man muss den Film einfach lieben – und das nicht nur, weil »Viva Forever« von den Spice Girls zu hören ist (aber auch deshalb).

»La Deuda« © Viennale

Weniger lustig geht es dann in »La Deuda« von Gustavo Fontán weiter: Mónica (Belén Blanco) hat Geld in ihrem Job unterschlagen. Geld, das sie nun bis morgen früh besorgen muss. Auf ihrer Odyssee, hinein in die Nacht, hin zu FreundInnen und Verwandten, setzt sie alles daran, ihre Schulden zu begleichen und muss sich dabei ebenso mit vergangenen Dramen auseinandersetzen. »La Deuda« ist in dunklen Farben gehalten, die Dialoge sind zumeist kurz und knapp, der Film ist sehr auf Belén Blanco und ihr Schauspiel fokussiert. Am Ende beginnt ein neuer Tag.

Mittwoch, 30.10.2019

Wer kurz vor Halloween am Mittwochabend das Gartenbaukino aufgesucht hat, da er/sie  sich von »Zombi Child« (Regie: Bertrand Bonello) einen klassischen Zombiefilm erwartet hatte, der, so lässt es Regisseur Bonello gleich zu Beginn wissen, werde enttäuscht sein. Zombies gibt es zwar schon in den Film, so ist es nicht, aber erst mal der Reihe nach. »Zombi Child« besteht doch quasi aus zwei Geschichten. Haiti, zu Beginn der 1960er Jahre: Clairvius Narcisse (Mackenson Bijou) wird lebendig begraben und somit zum Zombie. Paris, heute: Mélissa (Wislanda Louimat), die einzige Überlebende ihrer Familie eines Erdbebens sucht im Mädcheninternat Anschluss an ihre weißen Klassenkolleginnen. »Zombi Child« besticht nicht nur durch die Schauspielkunst des (vor allem weiblich besetzten) Casts, sondern verbindet Zombies mit dem Lebensgefühl einer jungen Woman of Color, in deren Lebensgeschichte sich Kolonialismus und der Umgang mit Traditionen und Fragen nach der eigenen Identität spiegeln.

Donnerstag, 31.10.2019

»Yokogao« © Viennale

Ein weiteres Highlight der diesjährigen Viennale war »Yokogao« von Fukada Kôji. Die Altenpflegerin Ichiko (Mariko Tsutsui) verliert nach und nach alles – Beruf, Liebe, Status – nachdem eine Begebenheit aus ihrer Vergangenheit publik wird. Fukada Kôjis Drama brilliert vor allem durch das Schauspiel Mariko Tsutsuis und erzählt in eindringlichem Ton von Geheimnissen, die keine mehr sind, verloren gegangener Sicherheit und dem Streben nach Idealen in einer brüchig gewordenen Welt.

»Luciérnagas« (Regie: Bani Khoshnoudi) wiederum rückt den homosexuellen Iraner Ramin (Arash Marandi) in den Fokus. Er befindet sich gerade in Veracruz (Mexiko), kann dort nicht kein, weil kein Geld, hat dort kaum Perspektiven, seinen Freund bekommt er auch nur hin und wieder über Skype zu Gesicht, sein Spanisch ist ebenso no bueno. Bani Khoshnoudis Film thematisiert das (Nicht-)Ankommen von MigrantInnen, das Schwanken zwischen verschiedenen Welten und die Versuche, Normalität und Zugehörigkeit zu spüren.

»Chun Chun nuan hua kai« © Viennale

Die Beziehung zwischen Orten und ihren BewohnerInnen behandelt »Chun nuan hua kai« von Ivan Marković und Wu Linfeng. In Peking in nur zehn Tagen und mit einem Budget von lediglich 20.000 Euro gedreht, gibt der Film in nur einer Stunde einen Einblick in das Leben zweier Männer: Li (Li Chuan) und Ma (Wang Luying), die sich eine gemeinsame Wohnung unter der Erde teilen. Der eine arbeitet tagsüber, der andere nachts, beide eint der Traum nach Aufstieg, ein Traum, der wie der Film zu zeigen vermag, ein schwer zu erreichender ist. »Chun nuan hua kai« erzählt von den Menschen, die keinen Platz in einer Metropole wie Peking haben. Der Film hat ein langsames Tempo, wenig Dialoge und erinnert in manchen Szenen an eine Dokumentation. Die größte Herausforderung, so der Regisseur Ivan Marković im Publikumsgespräch nach dem Film, habe darin bestanden, einen Ort außerhalb der eigenen Heimat zu porträtieren.

Freitag, 01.11.2019

Okay. Man könnte »Fourteen« von Dan Sallitt, dessen Kurzfilm »Caterina« vor »Fourteen« ebenso gezeigt wurde, für einen typischen Film über New Yorker Millennials halten, die zwischen Aufbruch und Ernüchterung (versuchen) zu leben und kreative Jobs sowie schlechten Sex haben. Ganz so ist es nicht. Mara (Tallie Medel) und Jo (Norma Kuhling) sind seit Schultagen Freundinnen; während Mara ihren Job als Lehrerin ernst nimmt und nebenbei noch versucht, schriftstellerisch tätig zu sein, hat Jo so ihre Probleme mit ihren Beruf (Sozialarbeiterin) und ihren Beziehungen. »Fourteen« begleitet die beiden Frauen über mehrere Jahre: Mara wird Mutter, Jo dysfunktionaler; die Freundschaft und die Verbindung der beiden Frauen bleibt – zumindest in Fragmenten und Versuchen – aufrecht. »Fourteen« erzählt von den Höhen und Tiefen einer Freundschaft, vom Erwachsenwerden und den Ängsten wie Problemen, die manche mehr, manche weniger, aber dennoch eigentlich alle betreffen, und der Suche nach Verständnis.

Ehem. Mitarbeiterinnen im Büro Ballhausplatz. »Die Dohnal« © Viennale

Eine Frauenbiographie, die bis heute viele Menschen, Österreichs Politik und feministische Strömungen des Landes geprägt hat, steht in »Die Dohnal« (Regie: Sabine Derflinger) im Fokus. Die Dokumentation spürt – der Titels lässt es bereits erahnen – dem Leben Johanna Donnals und ihrer Bedeutung für Österreichs (Frauen-)Politik nach. Ehemalige WegbegleiterInnen (wie etwa Dohnals Witwe Annemarie Aufreiter, Familienmitglieder, ihr damaliger Chaffeur und MitarbeiterInnen), aber auch (ehemalige) PolitikerInnen (z. B. Ferdinand Lacina, Brigitte Ederer und Julia Herr) und junge Feministinnen (wie etwa Hanna Herbst, Nicole Schöndorfer und Lena Jäger) kommen zu Wort. Dazwischen werden immer wieder Fakten zur Donahls Politik und ihre Errungenschaften, aber ebenso Herausforderungen eingeblendet. Das Publikum klatscht nicht nur am Ende, sondern schon – zu Recht – zwischendurch.

»Ich war zuhause, aber« © Viennale

Bei der Anmoderation von »Ich war zuhause, aber« (Regie Angela Schanelec) lässt die Viennale-Leiterin Eva Sangiorgi das Publikum wissen, dass besagter Film für sie der beste des Jahres sei. In »Ich war zuhause, aber« verschwindet Astrids (Maren Eggert) 13-jähriger Sohn. Nach einer Woche kehrt der Bub zurück, man erfährt nichts über seinen Aufenthalt. Astrid hat nun nicht nur eine zerbrochene Ehe, nun gerät auch ihr Alltag nach und nach aus den Fugen. Das Familienleben ist angespannt, der Sohn bekommt später eine Blutvergiftung und muss ins Krankenhaus. Dazwischen hinterfragt Astrid auch ihren Job, sie kauft ein Fahrrad, SchülerInnen proben »Hamlet« – es muss ja weitergehen, irgendwie. »Ich war zuhause, aber« erhielt den Silbernen Bären für die Beste Regie bei der Berlinale 2019, erzählt von Schuld und Sorgen, Resignation und Aufbruch. Der Film mag kein allzu leicht zugänglicher sein, er hallt aber lange nach.

Zum ersten Teil des Viennale-Tagebuchs 2019 geht es hier.

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