Viennale-Tagebuch 2019 – Teil 3

Die letzten Tage der Viennale brachten unter anderem Geschichten über das Leben in einer neuen Heimat, die »höchste Liebe« und Roboter. Preise wurden ebenso vergeben.

© Barbara Fohringer

Samstag, 02.11.2019

Zwei Männer, ein Auto, ein Leichnam. »Evge« von Nariman Aliev erzählt in beklemmenden Bildern und in düsterer Stimmung von der Reise zweier Krim-Tataren, Vater und Sohn (Akhtem Seitablayev und Remzi Bilyalov), die den eigenen Sohn bzw. Bruder, der im Krieg gefallen ist, nach Hause bringen, wo er seine letzte Ruhe finden soll. »Evge« ist dabei nicht munter-fröhlich-melancholiches Roadmovie, wie man es schon des Öfteren gesehen hat, der Film zeigt vielmehr – durch die Linse einer persönlichen Tragödie betrachtet – die Unruhen in Osteuropa. Regisseur Nariman Aliev, selbst Krim-Tatare, offenbart in seinem Film aber zugleich ein toxisches Männlichkeitsbild und eine Vater-Sohn-Beziehung, die mit Höhen und Tiefen zu kämpfen hat.

»Synonymes« © Viennale

Mit »Synonymes« (Regie: Nadav Lapid) war ein weiteres Highlight im Rahmen der Viennale zu sehen. Der Film, der dieses Jahr bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde und dort ebenso den FIPRESCI-Preis gewann, lebt von der Darstellung seines Hauptdarstellers Tom Mercier. Dieser spielt den nun in Berlin lebenden Israeli Yoav, der vor dem Militärdienst in seiner Heimat geflohen ist. Schnell lernt er das Pärchen aus seiner Nachbarwohnung (Quentin Dolmaire und Louise Chevilotte) kennen. Er will seine Vergangenheit ebenso schnell ad acta legen und Anschluss in Paris finden – beides stellt ihn vor so manche Herausforderungen. Nadav Lapid ist ein mitunter bizarrer, aber dennoch seine Komik nie verlierender Film über das Leben in einer neuen, fremden Heimat und die (Un-)Möglichkeit, der eigenen Vergangenheit zu entfliehen, gelungen. Im anschließenden Gespräch gab Newcomer Tom Mercier, dessen Namen man sich merken sollte, Einblicke in die Entstehung von »Synonymes«.

Sonntag, 03.11.2019

Eine gänzlich andere Thematik gab es einen Tag später mit »Divino Amor« (Regie: Gabriel Mascaro). Brasilien, 2027. Es wird nicht mehr Karneval, aber dafür umso mehr Gott gefeiert. Joana (Dira Paes), Beamtin und äußert religiös, versucht verzweifelt, schwanger zu werden. Gabriel Mascaro blickt in seinem Film in eine Zukunft, in der Gott und die »höchste Liebe« das Leben der Menschen bestimmen, Bigotterie trifft auf Biopolitik, mögliche zukünftige Szenarien auf eventuell bereits heute mögliche Realitäten. Dazwischen gibt es viel Sex, danach die Erkenntnis, dass »Divino Amor« durchaus sehenswert ist, sein Potenzial aber nicht vollständig entfaltet.

»Giraffe« © Viennale

Das Zusammenspiel von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bestimmt den Film »Giraffe« von Anna Sofie Hartmann. Die Ethnografin Darla (Lisa Loven Kongsli) trifft auf der dänischen Ostseeinsel Lolland, wo gerade ein Tunnel nach Deutschland gebaut wird, auf den Bauarbeiter Lucek (Jakub Gierszal). Sie hält mit Hilfe von Interviews und Fotos fest, was durch den Tunnelbau verloren geht, er und seine Kollegen versprechen sich vom Projekt Geld und Chancen. »Giraffe«, Hartmanns zweiter Spielfilm, thematisiert, wie wir mit Vergangenheit umgehen, und zeigt zudem eine Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen aus unterschiedlichen Welten. Angela Schanelec-Fans wird auch nicht entgangen sein, dass Maren Eggert ebenso in »Giraffe« mitwirkt.

Montag, 04.11.2019

»MS Slavic 7« © Viennale

Die Beschäftigung mit der Vergangenheit und konkret mit der eigenen Familiengeschichte steht auch in »MS Slavic 7« (Regie: Sofa Bohdanowicz und Deragh Campbell) im Fokus. Audrey (Deragh Campbell) ist die Nachlassverwalterin ihrer Großmutter Zofia Bohdanowiczowa, von der ein Briefwechsel mit dem berühmten Schriftsteller Józef Wittlin überliefert ist. Also begibt sich Audrey nach Harvard, um in der dortigen Bibliothek den Spuren ihrer Familie und demnach ebenso  den jüdischen Wurzeln in Polen nachzugehen. Unter dem Begriff »MS Slavic 7« sind tatsächlich die Briefe von Zofia Bohdanowiczowa zu finden, ist sie doch Sofa Bohdanowiczs Großmutter. Der Film beleuchtet ein wichtiges Thema, nähert sich diesem durchaus mit Humor an, kratzt aber nur an der Oberfläche.

Die Vergangenheit ist auch Thema des Thrillers »Wasp Network«, dem neuen Film des Viennale-erprobten Regisseurs Olivier Assayas. In diesem steht, basierend auf dem Buch »Os últimos soldados da guerra fría« von Fernando Morais, die Geschichte von  fünf Kubanern (u.a. Édgar Ramírez, Gael García Bernal und Wagner Moura) im Mittelpunkt, die ihre Tätigkeit als Piloten dazu nutzen, um überraschend nach Florida zu fliehen. Dort suchen sie Anschluss an diejenigen, die das Castro-Regime stürzen wollen, und landen schließlich im Gefängnis. »Wasp Network« ist rasantes wie kurzweiliges Popcorn-Kino, vor allem Penélope Cruz’ Schauspielkunst bleibt im Gedächtnis.

Dienstag, 05.11.2019

Einen Tag vor Ende der diesjährigen Viennale kann man es auch schon mal ruhiger angehen lassen, die Vorstellung von »Le Daim« (Regie: Quentin Dupieux) ging sich dann aber doch noch aus. In dieser schwarzen Komödie, deren unheimliches wie erschreckendes Potential sich nach und nach entfaltet, verliebt sich der kürzlich von seiner Frau verlassene Georges (Jean Dujardin) in eine Lederjacke. Ja, eine Lederjacke, richtig gelesen. Er reist in ein Dorf, lernt eine Kellnerin (abermals bei der Viennale 2019 zu sehen: Adèle Haenel) kennen. Mit dieser will er einen Film realisieren, um zugleich seinem Ziel näher zu kommen: Er soll zukünftig der einzige Mensch sein, der eine Jacke trägt. Der Plot von »Le Daim« ist skurril, der (kurze) Film und dessen Dramaturgie steigern sich kontinuierlich, nach und nach verliert Georges seine Moral und seinen Verstand – bis beide nicht mehr da sind.

»Le Daim« © Viennale

Mitwoch, 06.11.2019

Eine Lederjacke steht nicht im Mittelpunkt von »Robolove« (Regie: Maria Arlamovsky), hier sind es nun soziale Roboter, deren Entstehung die Regisseurin betrachtet und damit zugleich der Frage nachgeht, was es mit uns Menschen macht, wenn wir mit Robotern in Verbindung treten. In ihrer Dokumentation lässt Arlamovsky verschiedene Expertinnen zu Wort kommen. Der (ebenso kurze) Film gibt einen guten ersten Einblick in das Thema, jedoch hätte Maria Arlamovksy, die im anschließenden Gespräch betonte, dass der gesellschaftliche Umgang mit weiblichen Körpern sie besonders interessiert habe, kritischen und vor allem feministischen Stimmen noch mehr Raum geben können. Empfehlenswert ist »Robolove« aber dennoch. Und an dieser Stelle soll noch kurz angemerkt werden, dass mehr Dokumentation für die Viennale durchaus empfehlenswert wären.

»Das Glück meiner Schwester« © Viennale

Zum Abschluss gibt es – neben Preisen – nochmals ein Blick in das filmische Schaffen der Angela Schanelec. In »Das Glück meiner Schwester« aus dem Jahr 1995 hat Christian (Wolfgang Michael) Ariane (Anna Bolk) verlassen, um mit Isabel (Angela Schanelec) zusammen zu sein. Berlin ist trist und vor allem laut, die ProtagonistInnen müssen mit sich und ihrem Gefühlen klarkommen. Angela Schalenec sagte einmal in einem Gespräch mit Michael Baute über »Das Glück meiner Schwester«: »Für mich gehörte das zum Drehen dazu. Der künstliche, der hergestellte Raum war immer ein Punkt, der für mich gegen das Theater sprach. Für mich war es klar, dass die Sprache in meinen Filmen künstlich und geschrieben ist, aber auf der anderen Seite war mir klar, dass ich den Raum nicht manipulieren wollte. Es ging mir darum, was mit dieser geschriebenen Sprache und diesen künstlichen Figuren entsteht, die nicht dasitzen und improvisieren, sondern die ich da hingesetzt habe und die sagen, was ich aufgeschrieben habe. Das tun sie aber in einem Raum, in dem sich alles andere so bewegt, wie es sich auch sonst bewegen würde. Mich interessierte, was entsteht, wenn man auf der Straße dreht, und was entsteht, wenn man die Straße nicht absperrt und die Bewegungen, die da sonst auch von Passanten und Autos stattfinden, eben im Bild hat. Für mich bedingte sich das. Das gehörte zusammen. Genauso ernst wie mir diese geschriebenen Dialogsätze waren, genauso ernst waren mir die Autos. Ich sah keinen Grund, es voneinander zu trennen.“ Als man danach das Filmmuseum verlässt, ist es bereits dunkel.

Die Viennale 2019 fand von 24.10. bis 06.11. statt. Die ersten beiden Viennale-Tagebücher lassen sich hier und hier finden.

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