20 große Kulturensöhne und -töchter aus dem The-Gap-Umfeld erzählen von einschneidenden Erlebnissen und persönlichen Schlüsselmomenten ihrer Vergangenheit – und Zukunft. Teil 1.
Zukunft | Clubkultur
Hannah Christ: Was hat dich bloß so ruiniert
Es ist keine neue oder besonders außergewöhnliche Beobachtung: Techno ist im Kapitalismus angekommen.
Wieviel Hype muss man um eine Party machen? Wie viele Postings braucht ein Event? Wie viel emotional aufgeladene Worte, Wiederholungen und Moralisierungen? Die künstliche Erschaffung eines Zugehörigkeitsgefühls und die gleichzeitige Denunziation der sog. »Hater« – alles Strategien, die auch den Populismus kennzeichnen. Ihre AnwenderInnen stellen sich dabei selbst auf eine Bühne, die es in dieser Kultur nicht geben sollte. Die Idee der Musik sollte eben anders wie in anderen Genres nicht vorrangig über Gesichter kommuniziert werden. Was ist passiert? Hat Facebook Techno zerstört? Oder war es Boiler Room? Das Geld? Die SponsorInnen? Früher wollten höchstens Energy Drinks oder Zigaretten ihren Namen für Techno hergeben. Heute ist es unter anderem das größte Telekommunikationsunternehmen Europas. Und natürlich hat das Auswirkungen. Von der Professionalisierung zur Kommerzialisierung. Von Musik zelebrieren zu sich selbst zelebrieren. Von Ecstasy zu Kokain. Von Entspannungsräumen zu Backstage-Räumen. Geht die Gegenwart von Techno gerade durch die Pubertät? So fühlt es sich jedenfalls manchmal an.
Die Zukunft der Clubkultur sollte es sich also zur Hauptaufgabe machen, erwachsen zu werden, das Ego runterzuschrauben und sich darauf rückzubesinnen, was eine Technoparty eigentlich ausmacht. Diese Kultur wächst nicht durch Mega-Raves, Indoor-Feuerwerke, Star-DJs oder maßlose Promotion. Sie wächst in den kleinen, dunklen Nischen, durch viel Herzblut und DIY.
Mein Club der Zukunft hat keine Angst vor Experimenten, die Musik folgt nicht nur dem 4/4 Takt, sie und die Tanzfläche sind die einzigen Stars, es gibt keine kahlen, stummen Backstageräume, deren Eintreten nur Band oder Schlüssel erlauben, sondern musikalisch untermalte Entspannungsräume, Licht und Dekoration fließen mit der Musik, spielen mit dem Verstand, die Smartphones bleiben in den Taschen, weibliche DJs, Produzentinnen und Veranstalterinnen sind keine exotischen Ausnahmeerscheinungen, das Publikum tanzt sich die Seele aus dem Leib, ohne sich vor Belästigung fürchten zu müssen. Und es sucht sich bewusst diese eine Party aus und nicht ein bestimmter Algorithmus im Newsfeed. Der Club, nicht nur als hedonistischer, sondern als kulturpolitischer Ort der Freiheit, des Respekts, des Miteinanders und einer Musik und Atmosphäre, die einen komplett durchdringt, die einen beim Betreten und Verlassen mit einem »Wow« zurücklässt.
Meine Zukunft ist eine Utopie und hat dennoch schon existiert – und zwar in der Vergangenheit. Und das sage ich nicht aus nostalgischen Gründen oder der Ansicht, dass früher alles besser gewesen wäre. Aber um etwas tatsächlich zu begreifen, schau ich mir doch die Wurzeln und die Entwicklung an; wie die ersten Techno-Clubs und -Veranstaltungen, z.B. Ufo, Tresor, Planet, Loveparade, e-Werk konzipiert wurden – übrigens alle auch maßgeblich von Frauen. Das war vor fast 30 Jahren.
Wann ist es eigentlich passiert, dass der Club zu so einem patriarchalen, kommerziellen, lieblosen und unpolitischen Raum geworden ist? In einer noch relativ jungen und lebendigen Kultur, deren Grundwerte sich auf Freiheit und Gleichheit besinnen, sollte es doch essentiell sein, dass man sich als Frau eben nicht benachteiligt und unfrei fühlt. Wir sind nicht 5 %, wir sind 50 %. Wann wird das endlich auf und hinter den Line-Ups deutlich?
Ich wünsche mir mehr Verantwortung, mehr Essenz und das eben nicht alles nur Halligalli und Bumm-Bumm ist. Der einzige Hype, der laut sein sollte, ist der, der sagt: Techno, werd’ erwachsen und trag’ Verantwortung! Mach’ kaputt, was dich kaputt gemacht hat!
Hannah Christ steht als Minou Oram hinterm DJ-Pult, organisiert die Technoparty „Scheitern“ mit und stieß mit einem vielbeachteten Artikel im PW-Magazine, für das sie regelmäßig schreibt, eine längst überfällige Diskussion über das Ungleichgewicht in der (Wiener) Clubkultur an. Auch ihr Projekt Femdex widmet sich dieser Problematik und will Frauen in der elektronischen Musikszene zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Dokumentation: Amira Ben Saoud
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