Diagonale-Tagebuch 2019, Teil 2: Persönliche Einblicke und gesellschaftliche Auswirkungen

Am dritten und vierten Tag der diesjährigen Diagonale gab es persönliche filmische Einblicke, keinen Film über Thomas Bernhard, die Aneignung der Natur durch den Menschen sowie einen depressiven Millionär zu sehen.

© Barbara Fohringer

Donnerstag, 21. März

Der Donnerstag startete mitunter mit privaten Einblicken in eine Ehe und der Frage, wie Menschen zueinander finden. In »Szenen meiner Ehe« blickt die Regisseurin Katrin Schlösser, der Titel mag es schon verraten, auf ihre noch immer bestehende Ehe zurück. In verschiedenen Segmenten wird dem Publikum eine Liebesgeschichte gezeigt, deren Ursprung schwierig war – waren doch beide zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens mit anderen Personen liiert. Ihrer Zuneigung zueinander konnte dies zwar nichts anhaben, dennoch blickt die Regisseurin, die sonst eigentlich primär als Produzentin arbeitet und die mit »Szenen meiner Ehe« ihren Debütfilm liefert, auch mit Skepsis und Schuld an ihre damalige Situation zurück. Auch sonst sind im Film die Höhen und Tiefen einer Beziehung zu sehen; wobei die Höhen sowie die gemeinsame Lust, einander stetig (neu) kennenzulernen, überwiegen. Schlösser ist nah dran mit ihrer Kamera, an ihrem Mann und auch an anderen Familienmitgliedern wie den Eltern bzw. der Schwiegermutter. Ein berührender Film über Liebe und Familie, Neugier und Zusammenhalt.

Weniger liebevoll geht es in »Joy« von Sudabeh Mortezai zu: In diesem Spielfilm begleitet die Regisseurin die aus Nigeria stammende Joy (Joy Anwulika Alphonsus), die als Prostitutierte in Wien lebt. Man sieht Elend, Frustration und Geldsorgen, aber auch Szenen des kurzen Glücks – etwa, wenn Joy mit ihren Mitbewohnerinnen, die ebenso für eine sogenannte Madame arbeiten, gemeinsam fernsehen, tanzen, sich gegenseitig schminken und Rat geben. Auch Joys Verhältnis zur jüngeren Precious (Precious Mariam Sanusi) spielt im Film eine entscheidende Rolle. Sudabeh Mortezai kam durch Mary Kreutzers und Corinna Milborns Buch »Ware Frau« auf die Idee, einen Film über aus Nigeria stammende Sexarbeiterinnen zu drehen. Schlussendlich wird ersichtlich: Die Situationen und Probleme der Frauen sind universell, der Ausweg und die Möglichkeiten, ein selbstbestimmtes wie freies Leben zu führen, quasi unmöglich.

Die Diagonale ist besonders reich an Dokumentationen und so präsentiert auch Nikolaus Geyrhalter vor einem vollen Kinosaal seinen neuen Film »Erde«. Auch dieses Mal interessierte den Filmemacher die Beziehung zwischen Mensch und Natur. »Erde« richtet seinen Fokus auf die Menschen, die sich – im wahrsten Sinne des Wortes – die Erde aneignen: In einer klaren Bildsprache (inklusive prägender Bilder aus der Vogelperspektive) erzählt Geyrhalter von Bauarbeitern, die trotz einiger Zweifel ihren Job dennoch meist gerne ausüben, denn: Einer muss es ja machen. Es wird gebaut, gebaggert, gesprengt, und übrig bleibt das Bedürfnis der Menschheit, sich auszubreiten. Gegen Ende – und man wünschte sich fast, er hätte es etwas früher getan – lässt Geyrhalter auch KritikerInnen zu Wort kommen.

Eine Überraschung war auch eine der letzten Filme des Tages: Die Dokumentation »Die Melancholie der Millionäre« (Regie: Caspar Pfaundler) kommt mir nur drei Protagonisten aus und kümmert sich recht wenig um sonstige Konventionen. Dr. H., der titelgebende Millionär, berichtet aus seinem Leben. Er besitzt eine teure Immobilie im 1. Bezirk in Wien und hat mitunter abstruse Geschichten zu erzählen: Auszug in die weite Welt (Indien), Rückkehr nach Österreich und in den Staatsdienst (H. war Jurist), Einblicke in das Haus, dem (bzw. dessen BewohnerInnen) ursprünglich eigentlich Pfaundlers Interesse galt, doch da er keine Genehmigung für einen Dreh erhielt, richtete sich sein Fokus auf Dr. H. – einen komplexen, teils schwierigen Charakter, der vor allem gegen Ende des Films auch seine Depressionen thematisiert. Denn Geld alleine macht nicht wirklich glücklich.

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