Eine Dekade, aber als Lebensgefühl – Was bleibt von den 2010ern?

Zehn Jahre sind entweder sehr lange oder sehr kurz. Wenn es um eine popkulturelle Analyse geht: unfassbar lang. Um eine erschöpfende Einordnung aller relevanten Erscheinungen und Geschehnisse zu liefern, hätten wir einen mindestens 2010-seitigen Sammelband herausgeben müssen. Stattdessen wollen wir in unserem Dossier eine feine Auswahl an Themen bearbeiten, die das vergangene Jahrzehnt genauso wie uns geprägt haben. Illustriert wurden alle Texte von Lisa Schrofner. Wo warst du, als die 2010er vorbei waren?

Mehr als Fiction – Fandom

von Susanne Gottlieb

© Lisa Schrofner

Ob Buch, Film, Serie oder Computerspiel: Dort wo Populärkultur entsteht, gibt es Fans. Dieses Fandom ist auch keineswegs statisch, sondern entwickelt sich ständig weiter. In den letzten zehn Jahren hat vor allem die intensive Nutzung von Social Media dazu geführt, dass die Menschen immer stärker in einen Dialog mit dem Produkt treten, Forderungen stellen, und in einigen Fällen sogar den kreativen Prozess beeinflussen.

Die ProduzentInnen und SchöpferInnen posten auf Social-Media-Kanälen, kommunizieren in Foren oder podcasten, um ihr Produkt zu bewerben. So haben die »Game Of Thrones«-Schöpfer David Benioff und D. B. Weiss erst kürzlich zugegeben, Khal-Drogo-Darsteller Jason Momoa gecastet zu haben, weil sie den Vorschlag dazu in einem Online-Fanboard fanden.

Noch viel kurioser ist, dass wir am Ende eines Jahrzehnts stehen, in der es Fan-Fiction aus der Schmuddelecke herausgeschafft und sich zu einem Multimillionen-Dollar-Franchise gemausert hat. Bestes Beispiel ist die Autorin E. L. James, die mit ihrer »Twilight«- Fan-Fiction »50 Shades Of Grey« ihr eigenes kulturelles Phänomen losgetreten hat. Mit jeder Absetzung einer populären Serie entstehen heutzutage auch medienwirksame Online-Petitionen mit der Forderung nach einer Übernahme durch einen anderen Sender. So konnte zum Beispiel die Comedyshow »Brooklyn Nine Nine« von Fox hinübergerettet werden zu NBC.

Ähnlich wie bei Absetzungen wird auch Casting-News immer wieder mit Ablehnung begegnet. In unserer gegenwärtigen Gesellschaft, die von der Forderung nach Diversität geprägt ist, hat sich hier ein faszinierender Trend entwickelt. Mit dem aufkommenden Vorwurf des Whitewashings wurde das Casting des Disney-Films »Aladdin« mit Argusaugen überwacht. Ed Skrein verließ das »Hellboy«-Reboot, da er erfuhr, dass seine Figur im Comic eigentlich asiatisch ist. Und während Scarlett Johansson ihre Rolle in »Ghost In A Shell« noch behalten konnte, verzichtete sie ein Jahr später aufgrund vielseitiger Kritik auf die Rolle als Transmann in »Rub And Tug«.

Das Fandom hat somit dank neuer Technologien und der digitalen Demokratisierung den Ort der reinen Medienrezeption verlassen. Es wird spannend zu sehen, was die nächsten zehn Jahre bringen und wo beide Seiten die Grenze ziehen werden.

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