Wenn es mehr braucht als Gummistiefel und Sonnencreme – Musikfestivals in der Klimakrise

Die Veranstaltungsbranche hat es nicht leicht: Erst setzt ihr Corona ordentlich zu, dann wird die Teuerung – infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine – mehr und mehr zum Problem. Die größte Herausforderung der Zukunft dürfte aber die Klima­krise sein. Vor allem im Open-Air-Bereich, wo immer extremere und unberechenbarere Wetterphänomene längst ein Risikofaktor sind. Was bedeuten die Auswirkungen der Erderwärmung für die Festivalsaison?

© Adobe Stock, Bernhard Frena

Mit fast 85.000 Besucher*innen ist das Wacken Open Air in Schleswig-Holstein eines der größten Musikfestivals Deutschlands und eines der größten Metal-Events weltweit. Massive Regenfälle rund um den Start der Veranstaltung zwangen die Verantwortlichen heuer erstmals dazu, im Interesse der Sicherheit einen Anreise- und Einlassstopp zu verhängen. Das Gelände hatte sich in ein regelrechtes Schlammfeld verwandelt. Für 23.500 Metalheads war das Festival damit vorbei, noch ehe es begonnen hatte.

»Es ist ein Drittel unserer Einnahmen«, wird Festival-Mitbegründer Thomas Jensen in der Süddeutschen Zeitung im Hinblick auf die nötigen Rückerstattungen zitiert. »Das ist mathematisch nicht so schwer auszurechnen: 23.500 mal 299 (Euro Ticketpreis; Anm.) – und dann kommst du da irgendwo ziemlich dicht ran.« Mehr als sieben Millionen Euro sind es also, um die man unterm Strich laut Jensens Rechnung umfallen werde. Etwaige Mehrkosten, um das Festival trotz des starken Regens doch noch abwickeln zu können, nicht mitgerechnet. Keine Kleinigkeit.

Sicherheit geht vor

Das Wetter war natürlich immer schon ein Risikofaktor für Sommerfestivals. Was sich aber geändert hat, ist die Intensität und die Unberechenbarkeit mancher Wetterereignisse – längst auch in Europa. Ewald Tatar vom heimischen Branchenprimus Barracuda Music: »Das große Problem sind Gewitter und die Sturmsituation. So mussten wir heuer zum Beispiel beim Robbie-Williams-Konzert in Kärnten auf die Prognosen reagieren und das Konzert zwei Tage im Voraus absagen. Und das war gut so: Am Showtag gingen zur geplanten Einlasszeit und dann noch einmal um 20 Uhr massive Gewitter nieder – mit Hagel, Starkregen und Stürmen, auch Bäume stürzten um.«

Ewald Tatar von Barracuda Music (Foto: Karl Grammer)

Rechtzeitig mit einer Absage oder Unterbrechung zu reagieren, sei essenziell, so Tatar: »Man muss den mutigen Schritt setzen, eine solche Entscheidung zu treffen. Auch wenn diese vom Publikum im Nachhinein nicht immer nachvollzogen werden kann, weil das Unwetter dann vielleicht gar nicht so arg ausfällt. Aber Sicherheit geht vor.«

Extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen oder Unwetter kennt auch César Andión von Live Nation Spain: »Da es bei uns tagsüber sehr heiß werden kann, beginnen Festivals in Spanien traditionell später als anderswo. Dass sich extreme Ereignisse häufen, ist offensichtlich, für uns sind sie aber nichts Neues. Wir sind deshalb vielleicht auch besser darauf vorbereitet als nordeuropäische Länder.«

Aber was heißt es überhaupt, vorbereitet zu sein? Zum einen natürlich, das Publikum im Verlauf von Festivals vor den Auswirkungen besonders hoher Temperaturen zu schützen – etwa durch beschattete Areale, ausreichend Trinkwasserspender, Empfehlungen für adäquate Kleidung und zusätzliche Erste-Hilfe-Kapazitäten, falls es doch zu Dehydrierung, Hitzeerschöpfung oder Hitzschlag kommen sollte. Und zum anderen, mit spezialisierten Wetterdiensten zusammenzuarbeiten und natürlich Notfallpläne zu haben, um das Gelände im Falle von Unwettern rasch und geordnet räumen zu können. Es heißt aber auch: die Resilienz von Veranstaltungen zu erhöhen, etwa durch Maßnahmen zum Schutz vor Überschwemmungen – oder durch Versicherungen.

César Andión von Live Nation Spain (Foto: Alfredo Arias)

»Wir sind bei allen Open-Air-Veranstaltungen versichert«, erklärt Nova-Rock-Veranstalter Ewald Tatar. »Dieses Risiko gehen wir nicht mehr ein. Und das kann ich nur jedem anderen Veranstalter, der Open Airs veranstaltet, nahelegen.« Wer schließlich welche Kosten bei einer Absage oder einem Veranstaltungsabbruch zu tragen hat, das hänge jedoch vom Einzelfall ab. Von Vertragsdetails und zum Beispiel auch davon, ob eine Absage behördlich erfolgte oder nicht, so Tatar.

Transport als größter Hebel

»Das Risiko von Extremwetterereignissen wird sich nicht wegplanen lassen«, ist Paulina Parvanov von der NGO Music Declares Emergency Austria überzeugt. Dass wir alle, also auch Festivalveranstalter*innen und Publikum – in der Pflicht sind und unseren Beitrag leisten müssen, um den Klimanotstand zu überwinden, ist den meisten Menschen glücklicherweise bewusst. Parvanov: »Bei Festivals ist der größte Hebel der Transport. Eine Studie der Agentur The Changency hat am Beispiel von fünf Seeed-Konzerten mit 85.000 Besucher*Innen aufgezeigt, welche Auswirkungen die Anreise der Besucher*innen hat. Weitere Punkte sind die Gastronomie, Abfall und Recycling sowie natürlich der gesamte CO2-Ausstoß einer Veranstaltung. Bei besagtem Beispiel waren es über 200 Tonnen pro Konzert, was in etwa dem jährlichen Durchschnittsverbrauch von 19 Personen entspricht.«

Paulina Parvanov von Music Declares Emergency Austria (Foto: Carina Antl)

Als Weltmarktführer im Bereich Live-Unterhaltung sei man sich der eigenen Verantwortung im Umgang mit der Klimakrise sehr bewusst, versichert César Andión von Live Nation. »Es ist unsere Verpflichtung, das Live-Musikerlebnis für kommende Generationen zu bewahren. Und wir haben die großartige Möglichkeit, unsere Plattform zu nutzen, um globale Umweltmaßnahmen zu inspirieren.«

Unter dem Titel »Green Nation« hat das Unternehmen eine »Sustainability Charter« ausgearbeitet, in der acht Schwerpunktbereiche für seine Nachhaltigkeitsarbeit festgelegt sind: Emissionen und Energie, Ressourcennutzung und Abfall (insbesondere Plastik), Wasser, Lebensmittel, Öffentlichkeitsbeteiligung, Beschaffung, Verkehr und lokale Auswirkungen. Andión: »Wir können so viel tun – und es ist überaus dringend, dass in diesen Bereichen etwas passiert.«

Gesetzliche Basis

Den Klimanotstand zu überwinden, so Paulina Parvanov heiße auch, dass sich Gewohnheiten und Traditionen ändern müssten. »Das ist immer unangenehm. Wer mag schon Veränderung?« Und was kann man als Veranstalter*in ihrer Einschätzung nach konkret tun? »Es zu einer Priorität machen, sich Partner*innen und Lieferketten anschauen, das Publikum hinsichtlich Transport und Abfallvermeidung einbinden und – auch sehr wichtig – Ökostrom einsetzen, um nur ein paar Punkte zu nennen. Klar ist jedenfalls, dass Veranstalter*innen das alleine nicht hinbekommen werden. Bei Music Declares Emergency Austria sehen wir die Verantwortung daher bei der Politik, die die Rahmenbedingungen schaffen muss. Das ist keine individuelle Diskussion à la: ›Du trinkst Bier aus einem Plastikbecher, deshalb bist du schlecht.‹ Es muss die gesetzliche Basis geben, damit in den großen Bereichen – insbesondere bei Verkehr und Transport – CO2-Ausstoß reduziert wird und der Einsatz von klimafreundlichen Alternativen für alle Veranstalter*innen und Besucher*innen – auch finanziell – möglich wird.«

Im Rahmen des Konferenzteils von Waves Vienna 2023 findet am 7. September im West Space (Library 2) ein Panel zum Thema »The End of the Summer Festival As We Know It« statt. Es diskutieren: César Andión von Live Nation Spain, Penny Fox von der NGO World Trash Foundation sowie Andreas Jantsch von Music Declares Emergency Austria. Moderation: Yasmin Hafedh. Im Rahmen des Exportprojekts »The Spanish Wave« bringt César Andión drei spanische Acts zum Waves Vienna: Pau Vegas (7. September, 19:30 Uhr, Fania­live), Airu (8. September, 21:00 Uhr, Kramladen) und The Crab Apples (9. September, 19:45 Uhr, Chelsea).

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