Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im September 2022

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

Chuckamuck © Frederike Wetzels
© Frederike Wetzels

1000 Robota – »3/3«

1000 Robota © Tom Otte
1000 Robota © Tom Otte

Dinge, die man in zwölf Jahren machen kann: Zwölf Jahre alt werden. Von der Erde zum Neptun fliegen. Lernen, dass es Jahrdutzend heißt. Oder – man wird es sich gedacht haben – auf ein neues Album von 1000 Robota warten. 2008 bis 2010 war der damalige Teenie-Dreier aus Hamburg der heißeste Indie-Scheiß, die eklektische Mischung aus geradlinigem Indierock, Neuer Deutscher Welle und dringlichem Gesang, zwischen gestriegeltem Slackertum und purer Arroganz spaltete in Lager, Kult oder Kacke, aber in der Nachbetrachtung eher: Kult. Man hat natürlich jetzt nicht zwölf Jahre nichts gemacht, Theater, Kunst, hinter die Regler, was man eben so macht, wenn es nach dem Sturm auch einmal ein Wasserglas braucht. Auf »3/3« haben 1000 Robota 2022 immer noch einiges gemein mit ihrem früheren Selbst: Aber eher vom Spirit her, vom Freundschaftlichen her, vom Familiären, gleichsam auch vom Poetischen her, von den Texten, der Kritik an Neoliberalismus und Verwertungslogiken, ohne Groß die Welt retten zu wollen. Andererseits: Das Musikalische, gefühlt ganz anders, so schwebend, so sphärisch, so viel Hall. 

»3/3« von 1000 Robota erscheint am 30.9.2022 via Tapete / Indigo. (Noch) keine Livetermine. Kaufen hier.

Chuckamuck – »beatles«

Chuckamuck © Frederike Wetzels
Chuckamuck © Frederike Wetzels

Neues Lieblingslabel? Ja, bitte! Das sympathische Bretford Records ist nicht nur ein Zuhause für die famosen(!) US-amerikanischen Post-Punk-Göttinnen Cumgirl8 oder die Supergroup Die Verlierer – wir berichteten! –, sondern veröffentlicht als erste Katalognummer auch das neue Album der vermutlich besten deutschen Gruppe überhaupt: Chuckamuck! Die haben mit ihrem letzten richtigen Album aus dem Jahr 2017 ihren ohnehin schon sehr hohen Standard aus den Anfangstagen und »Wild for Adventure« (2011) sowie »Jiles« (2013) noch einmal ein großes Stück angehoben, ihre entschleunigten Hits »Roboter der Liebe« und vor allem »20.000 Meilen« gaben dem Ungestümen Konstanz ohne Identitätsverlust. Erst letztes Jahr wurden auf »Language Barrier« die eigenen Songs in anderen Sprachen gesungen. Für »beatles«, es geht mehr um ein beatle-eskes Gefühl als um die Songs der Fab Four, es ist auf jeden Fall ein deutlich entspannteres Feeling, quasi die Fortführung der Entschleunigung. Das Schrammeln am Anschlag gibt’s nur mehr stellenweise, die sehr sommerlich-kalifornische Single »Es war so warm« bietet hingegen einen guten Querschnitt über das gesamte Album. Sonnenbrillen-Emoji.

»beatles« von Chuckamuck erscheint am 30.9.2022 via Bretford Records. Live: 29. Oktober, Chelsea Wien. Hier kaufen.

Anna Absolut – »Ultramarin«

Anna Absolut © Harald Leitner
Anna Absolut © Harald Leitner

Wer Graz nicht mag, hat Graz auch nicht verdient. Die wohl schönste Stadt Österreichs zum Studieren, Leben und Leiden ist auch ein gutes Pflaster, ein Nährboden für elaborierte Gitarrenmusik, eh schon seit Jahrzehnten, da wird gedüngt, ein Wahnsinn. Anna Absolut sind da gar nicht so frisches Gemüse, mit »Zebra« (2019) und »2×3« (erst im Oktober 2021) stehen schon zwei Alben in den gut sortierten Regalen der Expert*innen für heimischen Indie-Punk mit Hang zum Aufbrechen klassischer Songstrukturen, tollen Riffs und Synths und klar formulierten, kritischen Texten – Humorvolles zum Nachdenken. Davon hat auch »Ultramarin« jede Menge, musikalisch sowieso, auch textlich geht’s da um ziemlich viel: Neben den Beschaulichkeiten des Alltags sowie der notwenigen Kritik an allem Neoliberalen und der Technisierung bohren die vier Steirer auch ins Grazer Gewissen, historisch ja vorbelastet bis zum Gehtnichtmehr, wenn vom Widerstandskämpfer Karl Drews erzählt wird. Sollte man sich zulegen!

»Ultramarin« von Anna Absolut erscheint am 2.9.2022 via 30KiloFieberRecords / Fuego. Release-Konzert: 16. September, PPC Graz. Hier kaufen.

Die Sterne – »Hallo Euphoria«

Die Sterne © Brigitta Jahn
Die Sterne © Brigitta Jahn

Frank Spilker (hier im Pelz) hat ja bekanntermaßen im 18er-Jahr seine Gruppe runderneuert und schießt nun das insgesamt dreizehnte Album unter diesem so klanghaften Namen in den Äther. Auch »Hallo Euphoria« macht seinem Namen alle Ehre, gar schwebend leicht, richtig frisch, richtig euphorisch eben, oder wie es im Titelstück recht überrascht heißt: »Verdammte Euphorie / Ich freu’ mich sonst nie / Ich hock’ immer nur so da / Hallo Euphoria«. Begleitet werden die überwiegend positiven, deskriptiven und kommentierenden Texte von sehr funky, leicht elektronischem Krautpop, ein bisschen Tropical, allgemein eher locker-flockig, ohne Zwang, Bongos nur hie und da, aber Sommerhits durch und durch. Beispiel für das alles: »Die Welt wird knusprig«, der Disco-Hit für swaggy Schnellbahnfahrten. Oder – um es mit einem YouTube-Kommentator zu sagen: »Warum sind die neuen Songs alle so viel stärker als der gesammelte Output der letzten 10 Jahre?«. Ja, gut.

»Hallo Euphoria« von Die Sterne erscheint am 16.9.2022 via PIAS. Live-Termine: 14. Oktober, WUK Wien, 15. Oktober, Posthof Linz. Hier kaufen.

Jens Friebe – »Wir sind schön«

Jens Friebe © Max Zerrahn
Jens Friebe © Max Zerrahn

Einige kennen den Jenser ja nur mehr als sexy Anhängsel für Literatur-Star Margarete Stokowski, vergessen dabei aber gerne mal, dass der Friebe so in der Mitte der Nullerjahre ein Posterboy des damaligen Indie war, vor allem »Das mit dem Auto ist egal, Hauptsache dir ist nichts passiert« von 2007, ein Album des Jahrzehnts, nicht nur vom Titel her. Vor vier Jahren erschien mit »Fuck Penetration« das bisher »britischste« Album, auf dem neuen »Wir sind schön« schmiegt sich Friebe in den Engtanz mit stakkatohaften Beats vom Drumcomputer, ab und zu frickelt auch noch Chris Imler – auch nicht gerade bekannt für das voluminös Poppige – an den elektroklanglichen Netzgeräten. Dass da natürlich das Euphorische, Upbeatige im Vordergrund steht, ergibt sich von selbst, wenngleich die Abgründe hinter jeder Musik-Text-Schere lauern. Gentrifizierung, Burnout und Dystopie lauern eben überall in Berlin und damit fast schon zwangsläufig auch auf jeder Großstadtplatte. 

»Wir sind schön« von Jens Friebe erscheint am 30.9.2022 via Staatsakt / Bertus / Zebralution. Live am 4. November im Chelsea, Wien. Album hier kaufen.

Außerdem erwähnenswert:

David J. Kirchner – »IG-Pop«

(VÖ: 09. September 2022)

Eine Frechheit im Pop: Nicht alle werden so »big« wie wir es hier ankündigen. Das wunderbare Projekt Kirchner Hochtief mitsamt dem Album »Evakuiert das Ich-Gebäude« hatten wir ja gut hochgelobt, jetzt scharrt unter dem Klarnamen das nächste Projekt mit den Hufen: Auf »IG-Pop« singt David J. Kirchner Arbeiterlieder, als Gewerkschaft für den Kunsttrieb. Dabei dürfen auch sehr verpoppte Neuinterpretationen von Klassikern nicht fehlen – wie etwa das »Einheitsfrontlied« (wer hat uns verraten?), »Die Internationale« oder »Bella Ciao« –, aber auch eigene Stücke wie etwa »Papierkramland« mit dem hier auch sehr verehrten Ozan Ata Canani

Wanda – »Wanda«

(VÖ: 30. September 2022)

Manche Dinge spart man auf: Alles rund um das neue Album von Wanda, dem zehnten, dem Jubiläum, dem selbstbetitelten, dem wegweisenden, Fragezeichen, finden die geehrten Leser*innen in der nächsten Ausgabe von The Gap. Aber eines dürfen wir vorweg sagen – Achtung, aufatmen! –: Es ist nicht alles »Rocking in Wien«. »Je suis Winnetou« ist weniger Cringe, wie die Kids sagen würden.

Kraftklub – »Kargo«

(VÖ: 23. September 2022)

Brüder im Geiste: Als Kraftklub »Teil dieser Band« veröffentlichen, kommentieren Wanda: »Noch nie hat ein Text so aus der Seele gesprochen«. Klar: Es geht darum, dass Kraftklub quasi nix kann. Das stimmt nicht ganz, immerhin springen die Leute noch immer im Quadrat, das ist eben zielgruppenoptimiert noch und nöcher: »Ein Song reicht« für die, die auf Indie-Pop der Nuller hängengeblieben sind, »Fahr mit mir (4×4)« mit Tokio Hotel für alle, die ein bisschen mehr Risiko mögen. Musik für alle. Das kann man jetzt opportunistisch oder doof finden.

Die bisherigen Veröffentlichungen von Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.

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