»Österreich und Horror sind ein ›match made in heaven‹« – Peter Hengl im Interview zu »Family Dinner«

Peter Hengl gibt sein Langfilmdebüt und präsentiert mit »Family Dinner« einen psychologischen Horrorfilm. The Gap traf den Regisseur und Drehbuchautor zum Gespräch.

© Capra Film

Die Tage vor Ostern wird Simi (Nina Katlein) bei ihrer Tante Claudia (Pia Hierzegger) am Land verbringen. Das Haus liegt abgeschieden und Claudia sowie Sohn Filipp (Alexander Sladek) und Stiefvater Stefan (Michael Pink) wirken distanziert. Simi möchte bleiben, denn die übergewichtige Teenagerin erhofft sich Tipps von Ernährungsberaterin Claudia, die im Ferienhaus an ihrem neuen Buch arbeitet. Doch schnell passieren merkwürdige Dinge.

»Family Dinner« feierte seine Premiere beim Tribeca Film Festival. Peter Hengl studierte an der Filmakademie und realisierte zuvor einige Kurzfilme. Gemeinsam mit Lola Basara und Marc Schlegel gründete er die Produktionsfirma Capra Film, die auf Genre-Spielfilme spezialisiert ist.

»Family Dinner« ist dein erster Langfilm als Regisseur und Drehbuchautor. Wie bist du zur Geschichte gekommen und sollte es von Anfang ein Film aus dem Horrorgenre werden?

Peter Hengl: Das Genre war von Anfang an da. Ich mag Horror schon immer gerne und als Filmstudent realisierte ich bereits Horrorkurzfilme. Es ist einfach ein tolles Genre, bei dem sich vor allem junge Filmschaffende ausprobieren können. Mit kleinen Mitteln kann man viel erreichen, das ist sehr reizvoll. In der Geschichte sind viele Einflüsse zu finden – etwa meine österreichische Herkunft oder meine Kindheitsträume. Es sind viele Jahre Entwicklungsgeschichte, die in diesem Film stecken, weil das Buch sowie die Finanzierung Zeit benötigt haben. Besonders Letzteres war eine Herausforderung. Erste Filme sind oft schwerer zu finanzieren.

Ich würde gerne noch mehr über das Genre sprechen. Was macht einen guten Horrorfilm aus?

Ganz viele Leute, die sich mit Horror nicht auskennen, haben eine sehr enge Vorstellung von diesem Genre. Was mich sehr daran reizt, ist, dass Horror eben viel mehr sein kann. Das Genre hat eine unglaubliche Vielfalt entwickelt. Zudem hat Horror ein treues Publikum, das vor allem eines belohnt: Originalität. Gute Horrorfilme sollten also einerseits originell sein und andererseits auf irgendeiner Ebene schrecken oder schockieren. Das muss kein physisches Erschrecken sein, es kann nur eine Idee sein oder ein schrecklicher Gedanke, der im Unterbewusstsein kitzelt, wie es gerade Horrorfilme eben gerne tun.

Warum gruseln wir uns gerne?

Es ist immer eine Grenzerfahrung, man tritt mit der eigenen dunklen Seite in Kontakt. Mit Dingen, vor denen wir uns fürchten oder die wir auf eine verquere Weise interessant finden oder begehren. Gerade weil es eben um Grenzerfahrungen geht, ist es ein Genre, das besonders bei jungen Menschen beliebt ist, denn diese wollen ihre Grenzen erforschen. Aber ich denke, es spricht viele Menschen an, eigene Grenzen auszuloten.

»Family Dinner« besticht mit dunklen Farben, es sind etwa viele Erdtöne zu sehen. Vor allem ist es aber der Ton, der die Stimmung des Films prägt. Wie siehst du – gerade im Genre Horror – den Einsatz des Tons? Was war dir dabei wichtig?

Der Ton, das weiß ich schon von meinen Kurzfilmen, ist eine unglaublich wichtige Ebene: Sowohl Musik als auch Sounddesign. Wir haben ganz intensiv daran gearbeitet, diesen reduzierten Eindruck zu erzeugen. Ich wollte eine unangenehme Stille schaffen, etwa über die Tiergeräusche, die man aus dem Wald hört. Wir wollten mit vielen psychologischen Mitteln Stille erzeugen. Auch Leute, die sehr leise sprechen, sind oft unangenehm. Wir griffen daher etwas in die ASMR-Kiste und ließen die Leute flüstern. Auf diese Weise haben wir eine unangenehme Atmosphäre erzeugt. Das zeigt sich auch beim Thema: Familienbesuche sind oft etwas unangenehm, Geheimnisse schwimmen unter der Oberfläche und man fühlt sich unwohl.

»Family Dinner« ist inhaltlich geprägt durch die verschiedenen Familienkonstellationen. Wir sehen nur vier Darsteller*innen, ähnlich wie in einem Kammerspiel, und viele der Szenen – vor allem im Haus – drängen diese nahezu zu Konflikten, etwa die vielen Szenen am Esstisch.

Absolut. Es war mir sehr wichtig, eine Geschichte zu erzählen, in der die vier Figuren einander ausgeliefert sind. Mit einer gewissen Künstlichkeit und einer bestimmten Ästhetik wollte ich eine hermetische Welt erzählen, aus der es kein Entkommen gibt. Es wird zwar immer von Wien gesprochen, man spürt das aber im Film gar nicht. Man hat das Gefühl, dass nur das Haus existiert. Das ergibt dieses Gefühl, ausgeliefert zu sein und diese Enge zu spüren. Das hängt auch stark mit Kamera und Bildgestaltung zusammen.

Habt ihr lange gebraucht, um die Location zu finden?

Wir haben im Waldviertel in der Nähe von Horn gedreht. Nach dem Haus haben wir sehr lange gesucht: Ich wusste, dass die Location sehr wichtig sein und auch viel über die Leute aussagen wird. Unsere Szenenbildnerin hat zudem geholfen, das Haus nach unseren Vorstellungen zu gestalten. Es ist ein Ferienhaus, eine gewisse Grundgestaltung ist schon im Haus angelegt und auf die haben wir sehr viel draufgestaltet; mehr als wir anfangs dachten. In der Geschichte ist das Haus auch ein Ferienhaus, in das sich die Familie zurückzieht. Wir haben uns auf jeden Fall extrem viele Häuser angesehen, aber als ich dieses sah, wusste ich sofort: Das Haus muss es sein. Es war nicht ganz leicht, es zu bekommen. Zum Glück waren die Besitzer*innen aber sehr freundlich und gaben uns die Möglichkeit, alles so zu gestalten, wie es unseren Vorstellungen entsprach.

»Family Dinner« © Capra Film

Die Dreharbeiten fanden während der Corona-Pandemie statt und du hast unter anderem zwei der vier Rollen mit Nachwuchsdarsteller*innen besetzt.

Wir haben gemeinsam mit Marion Elisabeth Rossmann gecastet, die das ganz toll gemacht hat. Bei den Erwachsenen war das ganz klassisch. Wir hatten ein unglaubliches Glück, diese beiden Darsteller*innen – Pia Hierzegger und Michael Pink – zu finden. Dass die beiden wahnsinnig gute Schauspieler*innen sind, das muss ich niemandem erzählen. Speziell Pia geht in dieser Rolle auf, und es ist ja eine Rolle, die recht anders ist als ihre sonstigen. Sie gibt der Figur eine ikonische Qualität. Die beiden jungen Darsteller*innen zu finden, war ein langwieriger Prozess. Jugendliche sind immer schwer zu besetzen. Besonders bei der Rolle der Simi kamen viele Anforderungen hinzu: Einerseits ist es die Hauptrolle, andererseits ist es ja leider so, dass dieses spezielle Körperprofil, das wir gesucht haben – Simi ist übergewichtig – das macht es nicht leichter, denn in unserer Gesellschaft gibt es nur wenige junge Frauen mit dieser Statur, die sich trauen, so etwas zu machen. Dadurch war es klar, dass wir speziell bei der Rolle der Simi kaum Nachwuchsschauspielerinnen finden werden. Wir haben daher sehr breit gecastet: Marion hat mehr als 200 Leute gesehen, ich auch mehr als 100. Nina Katlein ist hervorgestochen – genau wie Alex Sladek. Sie sind beide unglaubliche Talente. Nina musste durch viele Runden des Castings durch, aber sie war dann wirklich sehr überzeugend. Für eine erste Performance ist das echt unglaublich. Alexander hat mittlerweile eine Folge »Soko Donau« gedreht. Beide möchten gerne weiterhin spielen. Ich hoffe, dass es für sie ein Karrierestart ist.

Die Dreharbeiten fanden bereits während der Pandemie statt.

Der Dreh fand noch statt, bevor es die Impfung gab, das war für uns eine Herausforderung. Das Gute war: Wir waren total isoliert. Ich hatte zudem ein unglaublich gutes Team, auch viel Nachwuchs. Es war sehr fruchtbar und konstruktiv. Für die jungen Darsteller*innen war es toll, mit Profis zu arbeiten. Sie konnten viel lernen, da Pia und Michael sehr unterstützend waren. Wir hatten auch einen tollen Schauspielcoach, Jakob Fischer. Für mich war es angenehm, dass Nina und Alex in der Realität ganz anders sind als im Film. Gerade bei Simis Rolle geht es stark um Körperbewusstsein und Unsicherheiten, das ist ja sehr persönlich. Und die Figur ist auch schüchtern. Da war ich froh, zwei junge Schauspieler*innen zu haben, die da sehr sicher waren, einander gut verstanden und sehr professionell agierten. Sie hatten auch die notwendige Distanz außerhalb der Szenen.

Ein weiteres Thema ist Strenge und Disziplin, aber auch der Zusammenhang zwischen Genuss und eben Disziplin, Gehorsam. Das zeigt ja alleine schon der Fokus aufs Essen oder das Thema Abnehmen.

Für mich ist »Family Dinner« bis zu einem gewissen Grad ein Coming-of-Age-Film. Es geht sehr um den Umgang mit Vorbildern und Autoritäten, um junge Menschen, die sich orientieren müssen und sich fragen, wem sie Glauben schenken. Auch Körperbilder sind Thema. Ich wollte jedoch nicht, dass der Film zu didaktisch ist. Es hat sich dann aber alles organisch ergeben: die Fragen nach Körperbildern und dem Selbstbild in der Gesellschaft – auch im Zusammenhang mit Gesundheit und Aussehen.

Interessant fand ich ebenso den Umgang mit Riten beziehungsweise Ritualen.

Wir leben in einer Zeit, in der das wieder mehr eine Rolle spielt. Die Gesellschaft hat sich zwar von formaler Religion entfernt, aber es sind viele Gurus unterwegs. Da geht es auch um Autorität. Auch die Tante Claudia ist ein Ernährungsguru, das passt gut zusammen.

Gurus sind ja auch ein Symptom unserer Zeit. Wir sollen uns stets verbessern, viele versprechen uns Erfolg. Diese Suche ist ja auch spannend. Wie hast du da recherchiert?

Das ist sehr zeitgemäß. In diesem Bereich gibt es viele, die seit Corona ein bisschen in den Wahnsinn abgeglitten sind. Damit habe ich mich auseinandergesetzt. Mir war dann immer wichtig, dass der Film aber nicht zu zeitgenössisch ist, weil ich es universeller anlegen wollte. Es ist eine fast märchenhafte Abstraktion, leicht überhöht.

Man sieht zwar die Smartphones, aber sonst ist es wirklich ein eher zeitloser Film.

Ganz rauslassen wollte ich die Smartphones nicht, aber ich finde die virtuelle Welt eher unfilmisch. Mich langweilt es, wenn man im Film etwa Insta-Feeds sieht, die man sich sonst eh schon den ganzen Tag anschaut. Obwohl es schon tolle Filme gibt, die die Social-Media-Welt gut auf die Leinwand bringen.

»Family Dinner« © Capra Film

Abschließend möchte ich gerne noch den Zusammenhang zwischen Österreich und Horror sprechen. Österreich ist ja bekannt für den oft zitierten schwarzen Humor. Inwiefern findest du, dass Horror und Österreich zusammenpassen?

Österreich und Horror sind ein »match made in heaven«. Wir sind das Land, in dem Kinder in den Keller gesperrt worden sind, das Land, das Sigmund Freud, Franz Kafka und Adolf Hitler hervorgebracht hat. Österreich ist geboren zum Horrorland. Ich finde, dass auch viele österreichische Filme, selbst wenn sie nicht dem Genre zugeordnet werden – zum Beispiel von Ulrich Seidl und Michael Haneke –, bis zu einem bestimmten Grad Horrorfilme sind. Sie kokettieren auf eine gewisse Weise damit.

Sehen Seidl und Haneke sich als Horrorfilm-Regisseur? Was denkst du?

Sie würden sich wohl nicht so bezeichnen, aber sie sind es meiner Ansicht nach. Es obliegt ihnen auch nicht, diese Klassifikation zu treffen, das soll das Publikum entscheiden. Gerade Haneke hat mit »Funny Games« einen Film über eine Community gedreht, die er kritisieren wollte, aber er wurde freudig damit angenommen. Ich sehe da eine große Nähe. Ich glaube und hoffe, auch aus eigenem Interesse, dass da in den nächsten Jahren noch viel mehr kommen wird. Der Zusammenhang zwischen Horror und Österreich wird international auf jeden Fall gesehen.

Wirst du dem Genre Horror treu bleiben? Welche Themen möchtest du noch umsetzen?

Ich möchte dem Genre auf jeden Fall treu bleiben und arbeite auch gerade an mehreren Projekten aus dem Genre Horror. Wir haben eine Produktionsfirma, Capra Film, da wollen wir auch einen starken Genreschwerpunkt setzen. Wir haben vieles in Entwicklung. Ich hoffe, dass das Publikum zahlreich und freudig unseren Film annehmen wird. Bezüglich der Inhalte, ist es schwer, sich selbst zu analysieren. Es scheint schon einen roten Faden zu geben bei den Filmen, die ich mache bzw. machen will.

Du hast ja ursprünglich Informatik studiert. Hast du schon früher geschrieben?

Ich habe immer gerne geschrieben. Ich bin ein optimistischer und naiver Mensch. Wenn ich vor einigen Jahren die Herausforderungen gekannt hätte, dann hätte ich den Schritt in die Filmwelt vielleicht nicht gewagt. Ich war damals, als ich nach Wien kam, völlig untalentiert und musste erst das notwendige Handwerk lernen. In Österreich gibt es ja eine Glorifizierung des Talents. Meine Erfahrung ist: Sicher ist Talent notwendig, aber es braucht nicht das eine Talent – es braucht Unterschiedliches und viel Übung darin, wie man diese Talente einsetzen kann.

Wovor gruselst du dich?

Ich habe überhaupt keine Angst vor Geistern oder Monstern. Ich bin ein Optimist und glaube an das Gute im Menschen, aber mir gruselt am ehesten vor menschlichen Abgründen.

»Family Dinner« von Peter Hengl ist ab 27. Jänner 2023 in den österreichischen Kinos zu sehen.

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