Wie viele Perlen elektronischer Musik schlummern in den Archiven berufstätiger Mütter, die samt Einfamilienhaus ein durch und durch bürgerliches Familienbild abgeben? Schwer zu sagen, aber vielleicht melden sich ja jetzt ein paar. Der Elektronik-Produzent Jan Jelinek hat per Zufall einen Schatz entdeckt und gehoben, der auch ohne der ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte seinen Wert hätte. Zur Geschichte: Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Pharmakonzerns mit Affinität zu Esoterik und Wilhelm Reich richtet sich im Einfamilienhaus ein Studio ein und bastelt am Synthesizer und 4-Spur-Aufnahmegerät Elektronik-Tracks fernab jeder Esoterik. Über die Jahre ist eine große Bandbreite an Stücken entstanden – teilweise bizarr, oft unterlegt mit schrägem Humor und Augenzwinkern, vor allem aber ausgezeichnet durch unbändige Experimentierfreude. Ursula Bogner ist 1994 verstorben. Jelinek hat bereits angekündigt, weiteres Material aus der Periode nach 1988 zu veröffentlichen. Nur her damit!
Kategorie: Musik & Club
Photographs
Viele Bands bekommen keinen so homogenen Sound wie die auf „Photographs“ versammelten neun Remixer hin. Allesamt kommen sie aus dem Raum Chicago, wie auch das Quartett Colorlist, das für das Ausgangsmaterial verantwortlich ist. Neben anderen Großstädten und ausgesuchten Kommunen-Kaffs in Nordamerika ist Chicago von der Musik-Landkarte im letzten Jahrzehnt tendenziell verschwunden (HipHop ausgenommen). Doch der Jazz war immer schon stark in diesem Padawan. Hier ist Jazz mit der Zeit gegangen – nachzuhören bei diesen teils exzellenten Neuinterpretationen. Durch die Rekonstruktion im Rechner um Loops herum tendieren einige Remixe zum Ambient hin. Insgesamt ist „Photographs“ jedoch eine überzeugende Heranführung ans Jetzt geworden.
Hope, Glory, Mountain
Folk- und countryverliebte Hörnerven werden mit The Acorn kaum an Grenzen stoßen. Eine absolut breite, aber gleichzeitig einwandfrei klassische Instrumentalisierung verbiegt sich zur Freude der Herbst-Fanaten zu experimenteller Melancholie und Langatmigkeit. Erst treibend, dann wieder schleppend aber fröhlich, zu schnell und traurig. Ein artiger Ausflug durch ein Gestrüpp aus internationaler Folkore und akustischem Indie-Rock, nur dieses Mal direkt aus Kanada.
Godspeed On The Devil’s Thunder
Dani Filth und rasende Mannschaft zelebrieren wieder das große böse opulente Horror-Kino. Alles wie gehabt bei den Briten: Fetziger Black-Metal-Gothic-Thrash, abgedreht und mit grotesker Note versehen, bombastisch orchestriert, eine Stimmung wie in alten schwarz-weiß Gruselstreifen. Teilweise wirkt das Konzept schon ein wenig zu abgenutzt, es gibt anfangs Längen, aber insgesamt bleibt die Band ein Garant […]
More Songs From The Blue Bird Diaries
Die Vienna Songwirting Association und ihr Blue Bird-Festival schaffen es im tendenziell wertkonservativen Songwriter-Genre durch Substanz die Qualität hoch zu halten und damit auch das Interesse. Anlässlich des heurigen Festivals gibt es wieder eine feine, durchaus übervolle Doppel-CD, die als abzuarbeitende Liste von Musikempfehlungen interpretiert werden darf. Auf der ersten CD findet sich einfach gute […]
Famous When Dead 6
Ja muss es denn erst zu MP3 – Download – Verbrennungs – Happenings kommen? Und zu aufgebrachten Mobs, die vor den Clubs „Minimal Sucks!“ skandieren, damit sich in unseren Breiten die Produktionsstile wieder zu einem bunten Regenbogen auffächern? Gut, Playhouse hat jahrelang selbst für diesen top-reduzierten Sound gerackert – hat sich sein Recht darauf ersessen. […]
Amplified Presents Dirty Soul Electric
Im Londoner Club Amplified wagt man schon seit mehreren Jahren, eigenhändig eine Alternative Soul-Szene auf die Beine zu stellen. Alles was zwischen Broken Beats und R’n‘B nicht nach planmäßigem Kommerz riecht, kommt dort auf die Plattenteller. Die Atmosphäre vor Ort dürfte überaus herzlich und unverkrampft sein. Auf BBE beginnt die dreiteilige Reise durch die Amplified-Soundpalette […]
#50
Das Netlabel 12rec feiert seinen 50. Release mit einem Sampler, der die gesamte überraschende Bandbreite der bisherigen Veröffentlichungen abdeckt. Wer, wie ich, das Label in erster Linie über Post-Rock-Vertreter kennenlernte, bekommt hier mindestens soviel Pop, HipHop und verschiedene Zwischenformen, die allesamt wirklich herausragend ausgearbeitet und auf Tonträger gebannt sind. 17 Stücke großartige Musik.
Headworms
Eine Stimme wie Thom Yorke, Energien wie sie ansonsten von Broken Social Scene transportiert werden und Kompositionen wie sie The Album Leaf pflegen: Uzi & Ari haben es mit ihrem eigenständigen, kraftvollen dritten Album glücklicherweise nicht nötig, sich Vergleichen mit derartigen Größen wirklich stellen zu müssen. Verdichtet, unberechenbar und spannungsgeladen, ähnlich einer Gewitterwolke, bildet „Headworms“ […]
Auricle Bio O
Es klingt fast so, als würde die Verschmelzung von klassischer Musik und Techno gerade eine neue Blütezeit erleben. Nach eher obsoleten Versuchen in den 90ern scheint im Jahre 2008 plötzlich so etwas wie ein harmonischer Weg gefunden worden zu sein. Gerade eben legten Carl Craig und Moritz von Oswald ihre viel bejubelte Bearbeitung von Ravel […]
Ode To J. Smith
Mit dem 2007er-Quasi-Comeback „The Boy With No Name“ gelang Travis zwar kein ultimatives Meisterwerk, einen Achtungserfolg mit starken Momenten braucht man andererseits und freilich auch nicht unter den Teppich kehren. „Ode To J. Smith“ gibt sich nicht nur im unmittelbaren Vergleich dazu relativ widerspenstig und eigensinnig. Die Band definierende Melodieführungen früher(er) Tage werden hier ausgespart […]
Till The Old …
Die Herren Martin Brandlmayr, Werner Dafeldecker und Christian Fennesz sind bekanntermaßen Meister ihres Fachs. Musiker mit dem Hang zum Experimentellen, die gleichermaßen moderne – digitale – Technik und analoge Sounds schätzen und in erster Linie auch immer wieder mit einer Verweigerung gegenüber gängigen Formaten auffallen. „Till The Old World’s Blown Up And A New One […]
Play Music
Eine Band, die wie ein New Order-Song heißt hat es zumeist schwer, sich mit der selbst auferlegten Referenz-Bürde durchzusetzen. Anders bei der aus zwei Schweden und einem Amerikaner bestehenden Gruppe namens Thieves Like Us. Nach der allseits bekannten feinen Hitsingle „Drugs In My Body“ auf dem französischen Hipster-Label Kitsuné, unzähligen DJ-Gigs und Live-Auftritten wurde der […]
Surf City EP
Beschwingter Indie-Sound voll poppiger Melodien und mit viel Hang zum Überschwang. Gut das. Und noch besser von einer Band, die man nicht schon seit Jahren schätzt.
The Wild One
Sugarplum Fairy schaffen es mit ihrem dritten Album erstmals, sich vom Image als kleiner Bruder Mando Diaos zu lösen. Damit begegnen sie dem Lokalrivalen aus Börlange erstmals auf Augenhöhe. Mando Diaos kreativer Tiefpunkt „Never Seen The Light Of Day“ ist an diesem Umstand aber nicht ganz unbeteiligt. „The Wild One“ bietet vor allem zu Beginn […]
I gabat ois
Lektion 1: Das Wienerlied hat seit jeher mehr mit dem Kunstlied zu tun als mit dem, was gemeinhin Volksmusik genannt wird. Lektion 2: Die Texte des Wienerlieds schauen „dem Volk“ nicht aufs Maul, sondern legen ihm eher was in den Mund. Warum dieser akademische Exkurs? Weil die Strottern diese Prinzipien in Reinform leben. Die Herren […]
Sol-Angel and the Hadley St. Dreams
Hier in der Redaktion haben es spät aber doch selbst die Mäuse im Keller kapiert: die gute Solange hat eines der R’n‘B-Alben des Jahres gemacht. Fast kein schlechter Song ist drauf. Vor allem in der zweiten Hälfte gehen die meisten Minen hoch. Wer geglaubt hat, dass die emphatische Geradlinigkeit einer Sade mit modernem Studiokram nicht […]
A Hundred Million Suns
Erstens sind Snow Patrol nicht so schlimm wie ihr Ruf und zweitens ist ihr fünftes Album nicht so schlimm wie die Single „Take Back The City“. Damit versucht man derzeit das Image der Band in Richtung moderner, gut gelaunter Loverboys aufzubessern. Dabei waren Snow Patrol doch immer die Jungs fürs Intime – für die tragische […]
Self Medication
The Slackers werfen ihr nunmehr 14. Album in den Pot und klingen kein Stück weit verbraucht. Auch wenn sich nicht viel verändert hat bewahren die New Yorker Ausnahmemusiker ihren Charme und Style. Auf „Self Medication“ überschneiden sich wie sonst auch Ska, Roots-Reggae, Punk, Blues und Funk und lassen sich nicht nur für den Kenner als […]
Soul
Das Beste an diesem Album ist das Artwork. Die atmosphärisch inszenierte Gesichtsknautschzone von Seal bereitet die Hörer auf deftige Gefühle vor. „Soul“ – elf Coverversionen von übergroßen Soul-Hits – beginnt auch sehr vielversprechend. Doch schon Ann Peebles’ „I Can’t Stand The Rain“ gerät zu einer kleinen, schlüpfrigen Disconummer. Und im Lauf des Albums erweist sich […]